Full text: Prosalesebuch für Untertertia der Vollanstalten oder Klasse III der Realschulen (Teil 4, [Schülerband])

nicht?" und schlug den Knaben um die Ohren, „das brauch' ich 
allein für die Arbeit." 
„Aber, Mann, die Binder müssen doch essen!" 
„Kann ich's schaffen?" fragte er, „warum haben sie nicht mehr 
gebracht, für umsonst krieg' ich keine Weiden!" 
Als die Hannabeln dies gesehen hatte, trat sie vom Fenster 
zurück und konnte den Jammer gar nicht überwinden; denn auch die 
Kinder sahen bleich und alt aus vor Not und Arbeit. Und sie 
wandte sich zu dem Uhrmacher und sagte: „Dreht doch den Zeiger 
wieder zurück, daß die Ziege leben bleibt." 
Er aber erwiderte: „Das kann ich nicht, Ihr müßt morgen 
um Mitternacht kommen und es selbst tun." 
Den nächsten Tag aber konnte die Hannabeln es gar nicht ver¬ 
gessen, was sie bei dem Uhrmacher gesehen hatte, und nachdem sie 
lange gezögert hatte, packte sie ein Teilchen ihrer Vorräte in einen 
alten Rock und ging nach des Zimmermanns Wohnung. 
Als sie dort ans Fenster klopfte, wunderten sich die Leute nicht 
wenig, viel mehr aber noch, als sie eintrat und ihre Gaben brachte; 
und die arme Frau dankte ihr mit vielen Tränen, die beiden Kleinen 
aber sahen sie mit großen Augen an, als ob sie eine gute Fee sei. 
So etwas war der Hannabeln noch nie begegnet, und es wurde 
ihr ganz weich ums Herz, und sie sagte zu der Frau: „Ihr könnt 
mir schon mal die Kleinen schicken, wenn Ihr tags über zur Arbeit 
wollt, — und Essen sollen sie dann auch bei mir haben, das ver¬ 
steht sich." 
3. 
Die Hannabeln ging nun ganz zufrieden davon; als es aber 
Abend wurde und die Zeit näher kam, daß sie ihr eigenes Unglück 
anrichten sollte, wurde ihr das Ding doch sehr bedenklich. „Ja, 
eine Ziege," dachte sie, „die freilich ist den armen Leuten zum Leben 
nötig. Aber da ist der Nachbar Toppert mit dem großen schwarzen 
Hund, der mich schon so oft geärgert hat. Dies unnütze Vieh ver¬ 
frißt mehr, als es wert ist, — und wenn der Alte wirklich einen 
Hund nötig hat, so kriegt er noch immer umsonst einen kleinern." 
Der alte Toppert war nämlich blind, und sein Hund führte 
ihn an einem Strickchen zu den Handelsleuten, denen er die Quirle 
und Löffel brachte, die er schnitzte. Aber obgleich der Alte sehr 
ordentlich war und fleißig, hatte die Hannabeln doch einen Zorn 
Puls, Lesebuch IV. 2. Stuft. 2 
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