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Das Zeitalter der unumschränkten Fürstenmacht.
tiefe Wunde. Denn die Auswanderer, meist begüterte Gewerbetreibende, ent-
zogen der Heimat nebst einer Masse baren Geldes tüchtige Arbeitskräfte und
trugen manche Kunstfertigkeit, z. B. die Seidenweberei, in andere Länder;
sie nahmen mit hinaus den Haß und den Fluch wider den Tyrannen der
Welt. Auf Befehl desselben mußte auch der Herzog von Savoyen die Dra-
gonaden wider die in den Thälern der See- und Kottischen Alpen wohnenden
stillen Waldensergemeinden (Barbets) zugeben. Die armen Huge-
notten in den Cevennen, die nicht auswandern konnten, erhoben sich
gegen den Druck schließlich mit den Waffen in der Hand und leisteten als
Kamisarden — so von ihrem leinenen Bauernkittel (camisia) genannt — jahre¬
lang den hartnäckigsten Widerstand, den erst Villars im Jahre 1704 durch
planmäßige Kriegführung und Zusicherung der Straflosigkeit für Unterwürfige
beendete. Die letzten Widerspenstigen vernichtete im Jahre 1705 der Marschall
Herzog von Berwick, ein englischer Jakobite, d. i. Anhänger Jakobs II.
(?) Kunst und Wissenschaft im Zeitalter Ludwigs.
Die Liebe zu Glanz und Pracht und die Sucht, sich verherrlicht zu sehen,
machten Ludwig XIV. zu einem Mäcen von Künsten und Wissenschaften.
Sie entfalteten sich unter seiner Regierung zur Blüte und verschafften dem
Zeitalter den Ruhmesnamen des „goldenen". Aber dieses hat sie nicht erst
mit schöpferischer Triebkraft erfüllt, sondern trat nur in den Genuß dessen,
was in kräftigen Knospen vorher bereits angesetzt hatte. Ludwig XIV. be¬
günstigte die Kunst nicht um ihrer selbst willen, sondern um seinetwillen;
sie mußte ihm dienen und zu Gefallen sein, so gut wie andere Schönheiten,
die er vorübergehend seiner Gunst würdigte und zu seinen Favoritinnen zu-
gleich erhob und erniedrigte. Gerade diejenige Kunst, die in erster Linie
berufen ist, von einer großen Zeit Zeugnis abzulegen, die Baukunst, welche
sich im Übermaß der königlichen Huld und Freigebigkeit erfreute, giebt im-
trügliche Kunde von der geist- und geschmacklosen Prunksucht, mit welcher
man den Mangel an idealer Schönheit schlecht verdeckte. Auch die schönste
Allongeperücke vermag den natürlichen Schmuck kräftig wallenden Haupt-
Haares nicht zu ersetzen, sie deckt nur ebenmäßig kahle, vielleicht auch hohle
Schädel. Es ist ein eigentümliches Merkmal der Zeit Ludwigs XIV., daß
sie natürliche Schönheit durch Überladung und Wunderlichkeiten entstellt.
Treffend ist dem damaligen Baustil die Bezeichnung des Barocken, d. i.
des Verzerrten zu teil geworden. Dieselbe paßt gleicherweise für die Tracht
wie für das Haus. Den gewaltigsten Prachtbau setzte Ludwig mitten in die
einförmige Sumpfgegend von Versailles. Wie man erzählt, mochte der König
sich nicht mehr in St.-Germain aufhalten, weil er dort die Abtei St-Denis
vor Augen hatte, wo sich die Königsgräber befanden. Vergleicht man den