12 I. Die Geschichte der Griechen.
einen zehnjährigen Krieg der unter der Führung des Agamemnon geeinigten
Griechen. Kein Ereignis hat den griechischen Dichtern reicheren Stoff geboten;
aber nur die beiden herrlichen Werke des Homer (um 800 v. Chr.?), Jlias
und Odyssee, sind uns erhalten geblieben.
Die Veranlassung zum Kriege war folgende: Der trojanische König
Priamus hatte 50 Söhne, unter denen einer, namens Paris, sich durch
außergewöhnliche Schönheit auszeichnete. Als dieser einst auf dem Jdagebirge,
wo der durch einen bösen Traum seiner Gattin geängstigte Vater ihn hatte aus-
setzen lassen, die Herde weidete, erschienen bei ihm die drei Göttinnen Hera,
Pallas Athene und Aphrodite. Sie stritten um den goldenen Apfel, den
Eris, die Göttin der Zwietracht, „der Schönsten" bestimmt hatte. Paris wurde
zum Schiedsrichter ernannt und erkannte den Preis der Schönheit der Aphrodite
zu, weil diese ihm die schönste Frau der Erde versprach. Als solche galt damals
die Gemahlin des spartanischen Königs Meneläus, Helena. Von der Liebes-
göttin unterstützt, entführte Paris sie samt vielen Schätzen nach Troja.
Der erzürnte Menelaus wandte sich an seinen Bruder Agamemnon um
Hilfe. Beide reisten gemeinsam in Griechenland umher und forderten die Fürsten'
zur Teilnahme an einer großen Heerfahrt gegen Jlium auf. Nach und nach
fanden sich im Hafen von Aulis (Euböa gegenüber) zahlreiche Helden mit ihren
Mannen ein: aus Thessalien der schnellfüßige Achilles, ein Sohn des Peleus
und der Meergöttin Thetis, der tapferste aller Griechen, wie Jason ein Zögling
des Centauren Chiron; mit ihm sein Freund Patroklus; von der Insel Sa-
lamis der riesige Ajax, des Telamon Sohn, und sein Halbbruder, der Bogen-
schütze Teucer; aus Lokris der kleine Ajax, ein Sohn des Oileus, nach
Achilles der schnellste Läufer; aus Argos der kühne und listige Diomedes, ein
Mitkämpfer des Epigonenkrieges; aus Pylos (in Messenien oder Elis?) der alte,
redegewandte Nestor; von der Insel Jthaka der erfindungsreiche Odysseus
(Ulixes). Zum Oberfeldherrn wurde Agamemnon gewählt.
Durch eine von der Artemis gesandte Windstille erlitt die Abfahrt eine
lange Verzögerung. Der Seher Kolchos erklärte, die zürnende Göttin könne
nur durch die Opferung der Tochter des Agamemnon, Iphigenie, besänftigt
werden. Aber Artemis setzte während des Opfers eine Hirschkuh an die Stelle
und entrückte die Jungfrau in einer Wolke nach dem Lande der Taurier (Krim).
Der Zorn der Göttin war beschwichtigt, und die Flotte segelte nach der asia-
tischen Küste.
Die Hoffnung der Trojaner beruhte vor allem auf der Festigkeit ihrer
Stadtmauern und der Tapferkeit ihres Oberfeldherrn Hektor, welcher der älteste
Bruder des weichlichen Paris war. Aber sie hatten auch mächtige Bundesgenossen,
unter denen die Dardäner mit ihrem Fürsten Äneas hervorragten.
Neun Jahre wurde ohne Entscheidung gekämpft. Im zehnten Kriegsjahre
brach zwischen Agamemnon und Achilles ein erbitterter Streit aus, der den
gefürchtetsten Helden der Griechen lange vom Kampfe fernhielt. Als die Trojaner
allzu kühn anstürmten, gab Achilles seinem Freunde Patroklus die Erlaubnis,
sich am Kampfe zu beteiligen. Aber der tapfere Held wurde im Getümmel von
Hektor mit einem Speere durchbohrt. Bei der Kunde hiervon hielt es den
Peliden nicht länger in seinem Zelte. Voll Wut stürzte er sich auf die Troer
und trieb sie unter furchtbaren Verlusten zurück. Den Hektor, der allein im