86 I. Freundgen, Geschichte.
c. An Frau und Kind hing der Kronprinz mit ganzem Herzen. Als am Tage
des feierlichen Einzuges der siegreichen Truppen in Berlin eine zahllose Menge
vor dem Palaste des Kronprinzen weilte und immer wieder mit lautem Zuruf
den gefeierten geliebten Königssohn zu schauen begehrte, da erschien der Krön-
Prinz auf dem Balkon seines Hauses; eines seiner Kinder trug er auf dem Am,
ein anderes hielt er an der Hand, ein drittes hing an seinen Rockschößen, dem
Kronprinzen zur Seite lehnte seine hohe Gemahlin. Fürwahr, ein herrliches
Bild des Familienglücks! — Die Erziehung der Kinder leitete und über¬
wachte der Kronprinz aufs sorgfältigste. Seine Söhne und Töchter wurden
durch eine einfache, verständige Erziehung zur Tüchtigkeit und zur Pflichtersül-
lung herangebildet; sie wurden der Stolz ihrer hohen Eltern und die Freude
des Vaterlandes. Das Familienleben des Kronprinzen gab dem ganzen Lande
das Vorbild deutscher Zucht und Sitte.
d. Groß und dauernd war die Begeisterung des deutschen Volkes für deu
Kronprinzen. Wo immer er bei den Festen, wie sie in den Gauen des Vater-
landes gefeiert wurden, zugegen war, da erreichte die Freude ihren Höhepunkt.
Auch im Auslande wurde dem Kronprinzen überall, wo er erschien, der Herr-
lichste und ehrenvollste Empfang bereitet. So unternahm er im Jahre 1869
eine Reise ins Morgenland. Im Auftrage seines Vaters wohnte er der Er¬
öffnung des Suezkanals bei. Dann begab er sich nach Jerusalem, zu den Stät-
ten des höchsten Heiles der Christenheit. Am ersten Abend betrachtete er vom
Ölberge aus die heilige Stadt in frommem Schauer. Er schrieb darüber in sein
Tagebuch: „Diesen ersten Abend in Jerusalem werde ich mein Leben lang nicht
vergessen. Hier konnte sich das Gemüt von der Erde abwenden und dem Ge-
danken ungestört nachhängen, der jedes Christen Innerstes bewegt, wenn er auf
das Erlösungswerk zurückblickt, das an dieser Stätte seinen erhabensten Aus-
gaugspunkt feierte." In späteren Jahren machte er Besuche an den Königshöfen
zu Madrid und zu Rom. In Rom wurde er auch von dem Papste Leo XIII.
mit den größten Ehren empfangen und mit der wärmsten Herzlichkeit begrüßt.
4. Kaiser; Gottergebenheit; Liebe des Volkes; Tod. a. Die
Freude des deutschen Volkes und aller Welt über den Kronprinzen sollte verküm-
mert werden durch schweres Leid. Zu Anfang des Jahres 1887 erkrankte der
Kronprinz an einem Halsleiden, welches trotz aller ärztlichen Bemühungen nicht
beseitigt werden konnte. Die Ärzte rieten dem Kronprinzen den Aufenthalt in
einem südlicheren Lande an. Deshalb begab sich derselbe nach San Remo in
Italien. Monate lang verweilte er daselbst unter der aufopfernden Pflege seiner
Gemahlin und seiner Töchter; geduldig und gottergeben ertrug er sein schweres
Leiden. Tiefe Trauer hatte sich des ganzen deutschen Volkes bemächtigt. Weit
über Deutschlands Grenzen hinaus erwartete jedermann mit Angst und mit
Spannung die Nachrichten aus San Remo, und alle fühlten sich erleichtert
und beglückt, wenn diese Nachrichten eine Besserung versprachen. Das ganze
deutsche Volk vereinigte sich im Gebete, um von Gottes Güte dem Kronprinzen
die Heilung zu erflehen. Allein des Vaterlandes Hoffen erfüllte sich nicht.
b. Für Kaiser Wilhelm I. wurde das schwere Leiden des einzigen Sohnes zu
viel. Die Kraft des greisen Herrschers, die so Großes geschaffen, unb die so viel
des Leides überwunden Hütte, reichte nicht hin, den Schmerz über die Krankheit
des Sohnes zu ertragen. Am Morgen des 9. März 1888 schlummerte Kaiser
Wilhelm I. ein für immer, ohne daß er den heißgeliebten Sohn, „seinen armen
Fritz", noch einmal gesehen hätte. Schwer traf diese Schreckenskunde den Sohn;