Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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Leben in einer mittelalterlichen Stadt. 
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ragten in gemessenem Abstand empor und waren von mannigfacher 
Bauart, rund, eckig, spitz, flach. Das ganze Weichbild der Städte 
war mit einem Graben, einer Landwehr, umzogen, deren Zu— 
gänge feste Warten bezeichneten. Wächter lugten aus ihnen auf 
die Landstraßen aus, meldeten durch Zeichen jede Gefahr oder das 
Herannahen reisender Kaufmannszüge, denen in unsicherer Zeit ein 
bewaffnetes Geleit entgegenging. Inwendig an der Mauer der Stadt 
durfte sich niemand anbauen; dergleichen Anbauten drohten Gefahr 
des Verrats oder hinderten das Besteigen der Zinnen. 
In den meisten Städten wandten sich die Straßen gekrümmt, 
oft im Sacke endend, hin und her. Seit den Zunftkämpfen schloß man 
sogar einzelne Gassen durch Thore oder hing nachts Sperrketten ein. 
Das Rathaus, auch wohl Bürgerhaus genannt, ragte über die 
Gebäude weltlichen Gebrauchs hervor; auf seinem schlanken Turme 
hing die Glocke mit den Glöcklein, die zur Rats-, zur Gemeindever— 
sammlung oder sonst ernsten Dingen riefen. Auf ihm lugte der Wächter 
ins Weichbild aus. Kirchen und Rathäuser, Kaufhallen und Zunft— 
häuser würden gemeinsam mit großer Ausdauer prachtvoll aufgebaut, 
besonders die Kirchen. Himmelhoch erhoben sich die Türme. Soest, 
das späterhin fast bis zum Dorfe herabsank, zählt noch jetzt sechs be— 
türmte Kirchen und Kapellen. Zur Zeit seiner Blüte hatte es zehn 
stattliche Gotteshäuser und gegen achtundzwanzig Kapellen, die 
Krankenhäuser, Pilgerherbergen, Mariengärten und andere lirchlichen 
Anstalten nicht gerechnet. 
Die Bürgerhäuser blieben Jahrhunderte hindurch sehr einfach. 
Sie bestanden nur aus Fachwerk und ragten mit dem Giebel nach der 
Straße. Die oberen Stockwerke traten über die unteren hervor und 
verengten die schmalen Gassen so sehr, daß sie kaum den Himmel 
blicken ließen. So leichte, beengte Bauart begünstigte die ungeheuren 
Feuersbrünste, die alle unsere Städte in schrecklicher Weise wiederholt 
heimsuchten, aus denen sie sich aber auch ebenso schnell wieder erhoben. 
2. Die häusliche Einrichtung trug das Gepräge der Einfalt des 
Zeitalters. Der Hausrat, ohne Putz, war dem einfachsten Bedürfnis 
gemäß und roh gearbeitet. Beim Mahle aßen Mann und Frau von 
einem Teller; ein oder zwei Becher dienten der ganzen Familie; 
Fackeln und Laternen leuchteten bei Nacht den Schmausenden; Kerzen 
gab es nicht. Die Glasur irdener Gefäße kam um diese Zeit erst auf. 
Selbst in vermögenden Häusern wohnte der Sohn des Hauses mit 
seiner jungen Frau im Hinterstübchen bei den Eltern; ohne eigene 
Wirtschaft, ging er bei ihnen zur Kost. 
Dennoch aber fand schon jenes Jahrhundert gesetzliche Beschrän— 
kung der Prunkliebe und Schwelgerei nötig, die besonders bei Festen
	        
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