§ 56. Deutsches Wirtschaftsleben im Zeichen der Weltwirtschaft. 289
bedenklich herab. Nicht viel anders steht es mit der Vieh Wirtschaft, die
gleichfalls unter der starken Einfuhr leidet, trotzdem die deutsche Landwirtschaft
der Fleischversorgung bis auf 5 % gewachsen ist. So entstand allmählich
eine Notlage der Landwirtschaft. /ViA4^*Jjü4 J/Mu&uL.
4. Die wirtschaftspolitischen Aufgaben des Reiches und die Parteien.
Je schärfer die Gegensätze ;wis chen^en^großen Interessengruppen wurden, um Gegensatz zwischen
so mehr wurde es Pflicht des Staates^ durch seine Gesetzgebung zu ihrem
-Ausgleich, d. h. zu aerecvter ^erleiluna von Vorteil und Nachteil beizutragen.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die im Aufblühen begriffene
Industrie einen mäßigen Schutzzoll nötig gehabt, um .von dem Wettbewerb
des Auslands, namentlich Englands, nicht erdrückt zu werden, während die
freihändlerisch gesinnt_ war, weil die Getreideeinfuhr
noch unbedeutend war und ihr an billiger Einfuhr des Eisens und der meist aus
Amerika kommenden Betriebsmittel lag. Das Verhältnis kehrte sich um, als
die Industrie infolge ihrer glänzenden Leistungsfähigkeit" Fen Wettbewerb des
Ausl andes Aicht.mehr fürchtete und deshalb femjeiigtischtii F.reihandelsstand-
punkt zu vertreten anfing (A^anchestertum), was zur Aufhebung der Schutz- Manchestertum
Zölle im Anfange der siebziger Jahre führte. Inzwischen war aber die G.es unb gc^u^0liHt
treideeinfuhr so gestiegen, daß die Landwirtschaft des Schutzes bedMte..^öismarck
verknüpfte jetzt das Interesse des Reiches, das bei der beginnenden Verschul-
dung größerer und sicherer Einnahmen bedurfte^), mit dem der Land Wirtschaft
und ging 1879 zur Schutzzollpolitik über, die mit einer kurzen Unterbrechung
unter feinem Nachfolger Caprtvi bis auf den heutigen Tag besteht. Da er die bis
dahin stärkste Partei, die'Nättonalliberalen, nicht für diese Politik gewinnen
konnte, schuf er sich eine Mehrheit durch die Konservativen, die von da an
eine ausgesprochene a $r aMch e MM wurden, und das"Z e n t rnrn, das er,
freilich nur durch starke Aufgabe staatlicher Hoheitsrechte, zur positiven"Mit-
arbeit gewann.
Da jetzt die politischen Parteien immer mehrVertretern bestimmter Regierung und
Interessengruppen wurden, hing die gesetzgeberische Tätigkeit der Reichs- S$arteinv
regterung oft mehr als gut von ihrem Verhältnis zu den Parteien ab („Korn-
pi'omtfse''); trotzdem wurde der Ausbau des jungen Reiches durch zahlreiche
auf Einheit und Wohlfahrt abzielende Gesetze und Einrichtungen gefördert, wobei
die Bedürfnisse der beiden sich entgegenstehenden Haup^terwerbszweige, des
industriellen-kaufmännischen und des landwirtschaftlichen, in gleicher
Weife berücksichtigt wurden. Die d eu.ts ch.e Eint) eit bat einen überaus wichtigen
Fortschritt durch das seit 1900 eingeführte Bürgerliche Gesetzbuch gemacht,
die deutschen Wohlfahrtsbestrebungen haben in der von keinem andern
Kulturvolle irretchieit sözi^eu Gesetzgebnug ihren beM'Msdruck gefunden.
1) Die Frage der rjj.pjm wurde immer drinalicker^ Bismarck
wollte sie durch eine großzügige indirekte Besteuerung lösen (Wein, Bier, Alkohol,
Tabak usw.), erreichte aber unter dauernden Kämpfen mit dem Parlament nur halbe
Maßregeln, so daß nach einem günstigen Jahrzehnt (1883—93) die Verschuldung
des Reichs infolge der ungeheuren Steigerung der Ausgaben dnrc^vte soziale GMtz-
gebung und die Heeres- und Flottenvermehrung erschreckend zunahm. Die Schulden
betragen jetzt 4 y2 Milliarden Mark, so daß der Reichstag endlich (1909) die Reichs¬
finanz r efo rm als seineMchMte.ANfgg be.Mannt hat. "
Schenl-Koch, Lehrbuch d, Geschichte. IX. 2. Stuft. 19