Full text: Vom Westfälischen Frieden bis zur Gegenwart (Teil 9)

306 Vierter Zeitraum von 1852 bis zur Gegenwart. 
Wilhelm I. das Staatsschiff mit ruhiger Hand durch die Wogen eines 
immer aufgeregteren Weltmachtgetriebes, durch seine milde, vornehme 
Persönlichkeit die Gegensätze im Innern ausgleichend und selbst das 
feindliche Ausland beschwichtigend und gewinnend. Im deutschen Volke 
aber stärkte seine Regierungsweise und sein echt königliches Wesen das 
monarchische Gefühl, in dem die Gewähr für die Gesundheit unsrer 
Nation liegt. Und fast die ganze Welt nahm Anteil an der nationalen 
Sein Tod Trauer, als der erste deutsche Kaiser im Alter von fast 91 Jahren starb. 
9. in. 1888 ßtoe| sichten a^r vor allem hinterließ Kaiser Wilhelm I. seinen Nach- 
folgern und dem deutschen Volke: die Großmachtstellung Deutsch- 
lauds in Ehren zu bewahren und die Wohlfahrt der wirtschaftlich 
Schwachen zu fördern. 
2. Kaiser Friedrich III. war es nicht beschieden, die Zügel der 
Regierung in die Hand zu nehmen. Schon beim Tode seines Vaters 
von unheilbarer Halserkrankung ergriffen, quälte er sich noch 99 Tage 
in heldenmütig ertragenem Siechtum dahin: am 15. Juni verlor das 
Sein Tod deutsche Volk in demselben Jahre den zweiten Kaiser. Selten ist einem 
ib. vii. 1888. Agjsersohne und Thronfolger so viel Liebe vom Volke entgegengebracht 
worden wie „nnserm Kronprinzen". Als Sieger von Köuiggrätz, Weißen- 
bürg und Wörth verkörperte er die kriegerische Natur des germanischen 
Volkstums; mit seiner gewinnenden Persönlichkeit trug er viel zum 
innigeren Anschluß der Süddeutschen, deren Führer er im großen Kriege 
gewesen war, an das neue Reich bei; sein liebevolles Verständnis für 
Kunst und Wissenschaft (Museumsbauten, Olympiaforschung) ließen ein 
augusteisches Zeitalter, seine und seiner Gemahlin Viktoria warmherzige 
Tätigkeit auf dem Gebiete gemeinnütziger Wohlfahrtsbestrebnngen (Arbeiter- 
kolonien, Fortbildungsschulen) den Ausbau des sozialen Kaisertums er- 
hoffen. Auch galt der Kronprinz seit der Konfliktszeit (f. S. 257) für 
einen Freund des Liberalismus, und es war nicht unbekannt, daß er 
oft in wichtigen Fragen nicht mit Bismarck einverstanden gewesen war. 
Niemand kann wissen, inwieweit Kaiser Friedrich III. von den Regie¬ 
rungsgrundsätzen seines Vaters abgewichen wäre; gewiß ist, daß das 
deutsche Volk in allen seinen Teilen große Hoffnungen an die Regierung 
des geliebten Fürsten geknüpft hatte. 
Seit 1888. 3. Kaiser Wilhelm II. Schon in den letzten Jahren Wilhelms I. 
hatte Deutschlands Entwicklung ganz offenbar den Weg eingeschlagen, der 
von der Großmacht zur Weltmacht führte, und der noch jugendliche dritte 
Kaiser war von dem Gedanken beseelt, sein Vaterland neuen Zielen ent- 
gegenzuführen. Erklärlich wäre es also schon von diesem Gesichtspunkte aus, 
wenn sich ein Gegensatz zwischen dem begeisterten Vorwärtsdrängen des 
Kaisers und dem vorsichtigen Zurückhalten seines Kanzlers ausbildete. 
So geschah denn nach. anderthalbjähriger Regierung Kaiser Wilhelms II. 
das, was dem deutschen Volke zuerst unglaublich schien und einen tiefen
	        
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