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Gewissen halten kann; sein durch Gottes Wort gebundenes Gewissen will er
durch nichts anderes binden lassen. So hat er in Worms vor Kaiser und
Reich also die eigentliche Reformationsthat vollbracht, indem er sich un¬
widerruflich von Papst und Kirche trennt. Daher hat man diese That geehrt
durch ein herrliches Denkmal, das großartigste Standbild Luthers, das an der¬
selben Stelle steht, an welcher einst der bischöfliche Palast ltttd somit der
Sitzungssaal des Reichstages gestanden. (Vorzeigen einer Abbildung des Luther-
Denkmals zu Worms und Beschreibung desselben.)
2. Was ist über Kaiser Karl Y. zu urteilen?
a) Was gefällt uns an ihm? Seine Wahrhaftigkeit und Treue.
Er hat Luther freies Geleit zugesichert; er hält auch sein gegebenes Wort,
trotzdem ihn Luthers Feinde zum Wortbruch verleiten wollen. Sein Ausspruch:
„Und wenn die Treue aus der ganzen Welt verschwunden wäre . . ." ist ein
beredtes Zeugnis seiner edlen Gesinnung. „Versprechen und Halten steht fein
bei Jungen und Alten."
„Sprich „ja" und „nein" und dreh' und deutle nicht,
Was du berichtest, sage kurz und schlicht,
Was du gelobest, sei dir höchste Pflicht,
Dein Wort sei heilig, drum verschwend' es nicht."
b) Was gefällt uns nicht an ihm? Sein Vorurteil gegen die neue
Lehre: „Der würde mich nicht bewegen, daß ich ein Ketzer würde." Die
Geistes- und Gewissensknechtschaft, in der das deutsche Volk schmachtet, kümmert
ihn nicht. Spanier von Geburt, mag nie eine Ahnung deutscher Begeisterung
und deutscher Gemütstiefe seine Seele durchweht haben. Vielleicht hat er über
den bleichen, durch bittere Seelenkämpfe abgehärmten Mönch zu feinen Füßen
ebenso gedacht wie der Kardinal Kajetan, der behauptete, „die deutsche Bestie
mit den tiefliegenden Augen und den wunderlichen Spekulationen im Kopfe"
sei ihm unheimlich gewesen. Hätte Kaiser Karl ein Verständnis für die geistige
Bewegung, wie sie von Luther ausging, gehabt, und hätte er das Schwert der
weltlichen Obrigkeit in den Dienst dieser religiösen Bewegung gestellt, ganz
Deutschland würde der Lehre Luthers sich angeschlossen und sich von Rom und
dem Papste losgesagt haben. Die Ursachen also, weshalb heute ein Drittel
von Deutschlands Bevölkerung sich noch zum katholischen Glauben bekennt,
haben wir in Karl V. zu suchen. Mit seinem Wort: „Der würde mich nicht
bewegen, daß ich ein Ketzer würde" beginnt der Kampf der deutschen Kaiser
gegen den evangelischen Glauben des deutschen Volkes, ein Kampf, der viel
Blut gekostet und unsägliches Elend über unser Vaterland gebracht hat.
3. Was ist über die Fürsten zu urteilen?
Wie das ganze deutsche Volk, so spalten sich durch Luthers Lehre auch
die deutschen Fürsten in zwei feindliche Kriegslager. Als Luther freundlich