Full text: Deutsche Geschichte bis zum Ausgang des Mittelalters (Teil 1)

Monvort zur 1. Auflage 
Mich an dieser Stelle in ausführlicher Weise über die vielseitige 
Aufgabe des Geschichtsunterrichts zu verbreiten, dürfte überflüssig sein; es 
scheint mir nur nötig, mit einigen Worten auf seine erziehlicheBedentung 
hinzuweisen. 
Gibt mau zu, daß das Ziel aller Erziehung die sittliche Charakter¬ 
bildung ist und daß bei dem vielseitigen Werke der Charakterbildung jeder 
einzelne Unterrichtsgegenstand seine besondere Aufgabe zu lösen hat, so wird 
man auch zugestehen, daß nächst dem Religionsunterricht, insbesondere 
nächst dem Unterricht in der biblischen Geschichte, kein Unterrichtsgegenstand 
von solchem Werte für die Charakterbildung sein kann wie der Unterricht 
m der profanen Geschichte. Zur Bildung des- Charakters ist ein zweifacher 
Umgang mit beseelten Wesen unbedingt erforderlich: einmal ein wirklicher 
oder realer mit den lebenden Menschen der näheren und ferneren Um¬ 
gebung („Es bildet ein Talent sich in der Stille, sich ein Charakter 
in dem Strom der Welt!" Goethe), und sodann ein gedanklicher oder 
idealer mit Gott und mit den sittlich hervorragenden Persönlichkeiten in 
Geschichte und Dichtung, durch welchen idealen Umgang der reale eine not¬ 
wendige Ergänzung und Erweiterung erfährt. Den realen Umgang seiner 
Schüler kann der Lehrer der Volksschule nur teilweise oder nicht, den 
idealen fast ganz beeinflussen durch den Unterricht in biblischer und pro¬ 
faner Geschichte, sowie durch den Unterricht in der Literatur. Daraus 
folgt, daß die biblische Geschichte keine würdigere Bundesgenossin haben 
tann als die profane Geschichte; es folgt auch daraus, daß wir die profane 
Geschichte hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Charakterbildung auf gleiche 
Stufe mit der heiligen Geschichte stellen müssen, daß sie also, wie die 
Herbart-Zillersche Schule sagt, zu den Fächern des Gesinnungsunter¬ 
richts gezahlt werden muß. Die profane Geschichte soll nicht nur bloßes 
Wissen vermitteln, damit die Schüler durch Übung der geistigen Kräfte 
für den Kanipf ums Dasein gerüstet sind, sie soll in gleichem Maße eine 
edle Gesinnung erzeugen, einen sittlichen Willen bilden, damit dieser 
Stampf ums Dasein auch mit dem rechten sittlichen Ernst geführt werde.
	        
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