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16. Preußens Anglück (1806 und 1807).
Friedrich Wilhelm III. bemühte sich, seinem Lande den Frieden zu
erhalten,, solange dies eben möglich war. Aber Napoleon suchte ihn in
seinem Übermute durch Ungerechtigkeiten zum Kriege zu reizen. Er ließ
seine Soldaten ohne Erlaubnis durch preußisches Gebiet marschieren. Han¬
nover, welches durch Tausch an Preußen gefallen war, wollte er den
Engländern herausgeben. Da endlich erklärte Friedrich Wilhelm III. an
Napoleon den Krieg.
* Beschaffenheit der Heere. Seit Friedrich dem Großen war das preußische
Heer sehr zurückgegangen. Es hatte nur alte, wenig geschickte Feldherren und viele
unfähige Offiziere. Den Soldaten fehlte die Begeisterung und Vaterlandsliebe. Sie
waren zum Teil Ausländer, gering besoldet und schlecht bewaffnet. Vor allem fehlte
dem Heere ein tüchtiger, geschickter Anführer.
Das französische Heer dagegen bestand aus wohlgeübten Soldaten, welche mit
Begeisterung für den Ruhm Frankreichs kämpften, und an der Spitze stand Napoleon,
einer der berühmtesten Feldherren aller Zeiten.
Verlauf des Krieges. Mit großer Schnelligkeit erschien Napoleon
auf dem Kampfplatze. Nachdem er ein kleines preußisches Heer bei
Saalseld (in Thüringen) besiegt hatte, kam es zur Doppelschlacht bei Jena
und Auerstädt (14. Okt. 1806). Die preußischen Heere wurden voll¬
ständig vernichtet. Fast alle Festungen des Landes ergaben sich ohne
Verteidigung dem Feinde. Schon nach 14 Tagen hielt Napoleon seinen
Einzug in Berlin. Der König mußte mit seiner Familie nach Königs¬
berg und später sogar bis nach Memel fliehen.
* Mut und Vaterlandsliebe. In jenen Tagen des Unglücks fehlte es nicht an
Männern voll Mut und Vaterlandsliebe. Der General Blücher schlug sich
mit seinen tapferen Reitern bis zur Ostsee durch. Erst in Lübeck ergab er sich, „weil
er kein Brot und kein Pulver und Blei mehr hatte".
Als der Befehlshaber von Graudenz (in Westpreußen) aufgefordert wurde, sich zu
ergeben, da es keinen König von Preußen mehr gebe, antwortete der greise Held: „Nun
gut, dann bin ich König von Graudenz."
In der Festung Pillan (in Ostpreußen) versammelte der Kommandant zur Zeit
der höchsten Not seine Offiziere, stellte einen Sarg in ihre Mitte und sprach: „Kame¬
raden, lebendig übergebe ich die Festung nicht. Hier ist mein Sarg; wer mich über¬
lebt, lege meinen Leichnam hinein. Schwört mir: Preußen oder Tod!" Alle schwuren,
und Pillau wurde durch die Tapferkeit der Besatzung gerettet.
In der kleinen Festung Kolberg (in Pommern) spornte der 70jährige Bürger
Nettelbeck die Bewohner zur äußersten Gegenwehr an. Durch seinen Heldenmut, so¬
wie durch die Tapferkeit des Kommandanten Gneisenau und des Leutnants Schill
wurden alle Angriffe der Franzosen zurückgeschlagen. 56. 110. 412. 413.
Inzwischen waren die Russen in Ostpreußen eingerückt und hatten sich
mit dem Reste des preußischen Heeres vereinigt. Bei Eylau (in Ostpreußen)
kam es zwischen den Verbündeten und den Franzosen am 7. und 8. Februar
1807 zu einer höchst blutigen Schlacht, welche unentschieden blieb. Vier
Monate später wurden die Russen und Preußen in der entscheidenden
Schlacht bei Fried land (in Ostpreußen) vollständig geschlagen.
Im Frieden zu Tilsit (1807) verlor Preußen die Hälfte seiner
Länder, nämlich alle Besitzungen zwischen Rhein und Elbe, sowie die ehe¬
mals polnischen Landesteile. Es mußte sehr hohe Kriegskosten zahlen
und durfte nicht über 42000 Mann Soldaten halten.