6 Erster Abschnitt. Die Germanen behaupten im Kampfe gegen die Römer ihre Freiheit.
einigkeit und Zwietracht der Germanen zur Erreichung seines Zweckes. Freund¬
lich behandelte er ihre Fürsten; Geschenke, Ehren und Auszeichnungen häufte
er auf sie, und mancher verlor den Sinn für Freiheit. So gelang es diesem
schfouen Römer, zwischen Rhein und Weser eine römische Statthalterschaft zu
gründen. Das angefangene Werk aber wurde durch die Ungeschicklichkeit des
neuen Statthalters, der hier hergesandt wurde, verdorben. Derselbe hieß
Quintilius Varus. Er wurde von den Germanen gehaßt; denn er nahm ihnen
nicht bloß Hab und Gut, sondern hatte sich auch vorgesetzt, ihnen das.gute alte
Recht aus der Hand zu winden und die teure Sprache der Väter zu ver¬
drängen.
e) Hermann's Persönlichkeit und Äriegsplan.
Keiner empfand die Unterdrückung mit größerer Scham und mit heißerem
Zorn als Hermann, der Held, an dessen Denkmal ich euch am Anfang meiner
Erzählung im Geist geführt habe. Er war der Sohn Segimers, aus dem
Stamm der Cherusker, ein Jüngling voll kühnen Mutes, der so recht geeignet
war zum Retter und Befreier seines Volkes. Er war mit anderen deutschen
Jünglingen in Rom erzogen worden, hatte die Kriegskunst der Römer erlernt
und selbst die Ritterwürde und römisches Bürgerrecht erlangt. Aber inmitten
der herrlichen, üppigen Stadt hatte er seiner heimatlichen Wälder nicht ver¬
gessen, und die Gefahr, die seinem Vaterlande drohte, war ihm nicht entgangen.
Nach seiner Rückkehr lebte Hermann mit anderen Jünglingen hoher Abkunft
zeitweise in dem Heerlager des Varus; hier hatte er Gelegenheit, des arg¬
listigen Varus Absichten zu durchschauen, hier reifte auch sein Plan zur Be¬
freiung feines Landes. Groß waren die Schwierigkeiten, die seinem Werke
entgegenstanden. Es fehlte seinem Volke vor allem an Einigkeit; jeder Gau
war stolz aus seine Selbständigkeit und jeder Unterordnung abgeneigt. Nicht
alle waren, wie Hermann, von dem Haß gegen die Unterdrücker beseelt, sondern
manche erwarteten von der römischen Herrschaft Reichtum und Wohlleben.
Und nicht bloß Gleichgültigkeit trat Hermann hindernd entgegen, sondern selbst
entschiedene Feindschaft unter seinen Volksgenossen. Hermann liebte eine schöne,
hochsinnige Jungfrau, Namens Thusnelda. Ihr Vater Segest, ein Römerfreund,
wollte es nicht zulassen, daß sie Hermann's Gattin wurde, und haßte den
Jüngling, dem seine Tochter zugethan war. Hermann war unermüdlich thätig,
die Nachbarstämme der Cherusker: die Brueterer, Marsen u. a. m. zu einer
Eidgenossenschaft zu vereinigen. Das war Segest nicht unbekannt geblieben,
und er warnte Varus vor Hermann's Umtrieben; derselbe meinte aber in
seiner Sicherheit, Segest wolle, von Haß gegen Hermann getrieben, diesen nur
bei ihm verdächtigen, und gab nichts auf seine Warnungen. Aber bald wurde
Varus aus seiner Sicherheit aufgescheucht. Fröhlich und guter Dinge saß er
in seinem Sommerlager an der Weser, als die Kunde zu ihm drang, ein
deutscher Volksstamm an der Ems habe sich erhoben und alle Römer in seinem
Gau erschlagen. Also wars verabredet worden zwischen den Eidgenossen; denn
Hermann, die Seele des Bundes hatte zuvor bedacht, daß Varus in solchem
Falle nicht säumen werde, mit aller Macht in's Feld zu ziehen. Und so kam
es auch. Der Römer beschloß, ohne Verzug aufzubrechen und die Schuldigen
zu vernichten.