§ 75. Die Schlacht bei Leipzig. 333
am 19. Oktober verließ Napoleon die Stadt. Nur mit Mühe gelang es
ihm, durch das Gedränge, das auf der Straße nach Lindenau herrschte, aus
der Stadt ins Freie zu gelangen.
Den Befehl über die noch zur Deckung des Rückzuges und zur Ver¬
teidigung der Stadt zurückgebliebenen Truppen hatten die Marschälle Fürst
Poniatowsky und Marschall Macdonald erhalten. Der erstere war der Neffe
des letzten Polenkönigs, ein ritterlicher Mann von stattlicher Gestalt und hohem
Mut, der gehofft hatte, mit Napoleon's Hilfe fein Vaterland Polen wieder¬
herzustellen und dann als König an feine Spitze zu treten.
Am Morgen des 19. Oktober wurde nun von den Verbündeten von
drei Seiten, von Süden, Osten und Norden, der Sturm auf die Stadt Leipzig
unternommen. Noch stundenlang mußte an den Thoren der Stadt gekämpft
werden, bis es den tapferen Preußen und Russen gelang, sich den Eingang
in dieselbe zu erzwingen. Ein Bataillon Königsberger Landwehr unter dem
Major v. Friccius erstürmte das Grimmaer Thor und war das erste, dem
es gelang, in die Stadt einzudringen. Es hatte dann noch ein blutiges
Straßengefecht zu bestehen, hielt aber tapfer stand, bis die ersehnte Hilfe
kam. Während das im Osten geschah, gelang es den Russen, auch im Norden
und Süden in Leipzig einzudringen. Von beiden Seiten näherten sich dann
die siegreich vorrückenden Scharen derselben dem Ranstädter Thor und der
Rückzugsstraße des Feindes. Da trat plötzlich ein Umstand ein, der dem
fliehenden Heere den letzten Ausweg verschloß und Schrecken und Entsetzen
unter demselben verbreitete. Napoleon hatte vor seiner Abreise aus Leipzig
die Anordnung getroffen, daß die steinerne Brücke über die Elster beim
Ranstädter Thor in die Luft gesprengt werden sollte, sobald die letzten Truppen
aus Leipzig abgezogen wären. Als aber die ersten russischen Soldaten sich
dem Ranstädter Thore nahten, zündete der französische Corporal den unter
der Brücke gehäuften Sprengstoff an, und die Brücke flog in die Lust. Ver¬
zweiflung kam über die noch kämpfenden Polen und Franzosen, als sie er¬
fuhren, daß ihnen der letzte Ausweg abgeschnitten, ihre Rettung unmöglich
geworden sei. Alles drängte sich nach dem Flusse; aber dieser war durch
den häufigen Herbstregen so angeschwollen, daß man nur schwimmend über
denselben gelangen konnte. Dem Marschall Macdonald gelang es, sich so
durchzureiten. Nicht so glücklich war Poniatowsky. Er stürzte sich, schon
schwer verwundet, aus einem scheuen Pferde in die Elster und fand seinen
Tod in den Fluten derselben. Alle Gärten und Plätze längs der Elster
waren von Flüchtigen erfüllt. Gedrängt von den ihnen nachfeuernden Ver¬
folgern, stürzten sich viele in den Fluß und fanden ihren Untergang. Noch
15 000 gerieten in Gefangenschaft. —
Kurz nach 1 Uhr war Kaiser Alexander und König Friedrich Wil¬
helm III. unter dem Zujauchzen des Volkes und unter kriegerischer Musik
in Leipzig eingezogen. Sie waren begleitet von den höchsten Anführern ihrer
Heere und den stattlichen Regimentern ihrer Garden. Fast gleichzeitig erschien
auch der Kronprinz von Schweden und Blücher und zuletzt der Kaiser von
Österreich.
Aller Herzen waren voll Freude Und voll Dank gegen Gott für den
großen Sieg, der mit feiner Hilfe errungen war.