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Segestes brachte er selbst den Cheruskern eine Niederlage bei. Da wurden
viele edle Deutsche gefangen, und unter ihnen war auch Hermanns Frau,
die Tochter des Segestes, Thusnelda. Die Römer wunderten sich, wie sie die
Gefangenschaft ertrug, denn sie war ein heldenhaftes Weib und ihres Mannes
wert. Sie weinte nicht, sie bat nicht um Erbarmen, ihr Gesicht blieb
wie von Stein. Die Hände faltete sie über die Brust und sah zu Boden.
Hermann sah diesen Jammer nicht. Er war, als er den Untergang nicht
abwehren konnte, durch die Sümpfe und Wälder gesprengt, hatte an allen
Toren der germanischen Häuptlinge, an allen Wachttürmen der Stammes-
grenzen angeklopft und gebeten und sie beschworen: „Wenn die deutschen
Stämme euch heilig sind und die deutsche Sprache euch lieb ist, rafft euch
doch auf und helft, deutsche Frauen und deutsche Helden aus der Knecht-
schaft zu erretten." Da reckten sich denn doch manche, die beim Methorn
aus ihrer Bärenhaut lagen, und langten ihre Schwerter von der Wand
und sprangen mit Helm und Spieß in den Wald. Und er kriegte auch
soviel zusammen, daß sie noch hier und da dem römischen Feldherren eine
Niederlage beibrachten. Aber was half das alles, wenn sie zuletzt durch
ihre Uneinigkeit immer alles wieder verdarben. Einmal hatten sie das
römische Heer so in der Klemme, daß sie es ganz und gar hätten ver-
Nichten können. Zwischen weiten, unabsehbaren Sümpfen zogen die Römer
anf einem schmalen Landstriche entlang, verborgene Bäche sickerten hier
und da durch das Gras, sie konnten nirgends zur Seite ausbiegen. In
ihrer Angst schlugen sie da ein Lager auf. Die Deutschen standen darüber
auf den waldigen Höhen. Sie hätten bloß nach von: den Römern den
Ausweg abzuschneiden brauchen und hinten den Rückweg zu versperren, dann
hätten sie sie aushungern können nnd zuletzt niedermachen» Das wollte
Arminins auch. Aber er war ja nicht König, die Deutschen hatten ja keinen
Staat, Hermann hatte ihnen ja nicht wirklich etwas zu sagen. So war
da denn ein anderer, der sagte: „Was? Das ist ja eine Feigheit. Können
wir denn nicht kämpfen? Sind unsere Fäuste nicht mehr kräftig genug
drein zu hauen? Wenn wir Gestrüpp und Reisholz in die Sümpfe werfen,
so werden wir schon rüberkommen und die Römer ordentlich angreifen können.
Wir springen über ihre Lagermauern hinüber und schlagen sie mit dem
Schwert." „Natürlich", schrieen die meisten, „das ist viel anständiger."
„Aber liebe Kameraden", sagte Hermann, „ihr müßt doch einsehen,
daß das eine sehr unsichere Sache ist. Wenn wir erst über den unsicheren
Boden hinüber turnen sollen und müssen immer auf den Weg passen, dann
können wir ja garnicht ordentlich auf die Römer acht geben. Sie stehen
auf ihren Lagerwällen und auf festem Boden und können ruhig zielen und