Full text: Kurze Darstellung der deutschen Geschichte

Schilderung des Miktelalters. 8V 
und wenn er nun mit seinem Gegner zusammentraf, so war da kein langes 
Besinnen und Versuchen mit Listen und Umgehungen, sondern im stärksten Rennen 
der Pferde sprengten sie gegen einander, und ein jeder suchte den andern durch 
geschickte Wendung mit der Lanze aus dem Sattel zu werfen. Oft auch wurde 
durch die Heftigkeit des Stoßes der Reiter sammt dem Rosse zu Boden geworfen; 
und ehe er in der schilleren Rüstung, von dem starken Falle betäubt, sich wieder 
aufraffen konnte, hatte der Gegner ihm schon die Lanzenspitze an die Kehle gesetzt 
und forderte seine Ergebung. Vielleicht schützten ihn aber auch seine Knappen 
und Freunde, daß er sich erheben und sein Roß wieder besteigen konnte; und 
dann begann der Kampf von neuem, indem auch das Gefolge, Mann gegen 
Mann, mit der höchsten Anstrengung aller Kräfte, stritt. Wenn die Lanzen zer¬ 
splittert waren, so griff man zu den Schwertern, und Helm und Schild erklangen 
von den gewaltigen Hieben. War das Roß gefallen, so kämpfte der Mann 
noch zu Fuß, und den Rücken durch einen Baum oder sonstige Schutzwehr ge¬ 
deckt, wehrte er sich mit dem Schwerte gegen eine Menge Angreifender, bis auch 
dieses zersprungen, oder sein Helm und Panzer zerhauen und er selbst so von 
Arbeit und Wunden ermattet war, daß er niedersank; dann konnte er mit Ehren 
sich ergeben und sein Leben retten. Der Sieger forderte ein hohes Lösegeld oder 
gar ein Stück Land für feine Befreiung; oder er erkaufte durch dieselbe die 
Freiheit eines von der Gegenpartei gefangenen Freundes; der größte Lohn aber 
war die Ehre, einen so tapfern Gegner besiegt zu haben. 
Wenn wir die alten Panzer, Helme, Schwerter und Lanzen betrachten, die 
noch in den Rüstkammern aufbewahrt werden und die wir kaum zu heben ver¬ 
mögen, so kömmt es uns fast unglaublich vor, wie ein Mensch dieses Alles 
tragen, geschweige denn sich darin bewegen, ja anhaltend kämpfen und behende 
Wendungen machen konnte. Aber die ganze Erziehung des künftigen Ritters, 
vom Knabenalter an, ging auf Ausbildung der körperlichen Kräfte und Waffen¬ 
geschicklichkeit hinaus. Jede Stunde des Tages hatte ihre Uebungen; Springen, 
Lausen, Reiten, Ringen, Fechten, Speerwerfen, Lanzenstechen und ähnliche Ue¬ 
bungen wechselten mit einander ab. „Die in Deutschland gebornen Knaben 
lernen eher reiten als reden," sagt ein alter Schriftsteller. „Die Pferde mögen 
laufen wie sie wollen, so bleiben sie unbeweglich sitzen. Sie führen ihren 
Herren die langen Lanzen nach; durch Kälte und Hitze abgehärtet, sind sie durch 
keine Arbeit zu ermüden. Das Tragen der Waffen kommt den Deutschen eben 
so leicht an, als das ihrer eigenen Glieder, und es ist eine erstaunenswürdige 
und fast unglaubliche Sache, wie geschickt sie sind, Pferde zu regieren, Pfeile 
abzuschießen, und Lauze, Schild und Schwert zu gebrauchen." 
Wenn der Knabe einigermaßen borgeübt war, so kam er als Bube oder 
Edelknabe bei einem geachteten Ritter in Dienst; von diesem lernte er nun die 
edle Ritterkunst weiter, strebte ihm als einem hohen Vorbilde nach und setzte 
seinen höchsten Stolz darin, ihm mit unwandelbarer Treue anzuhangen. Vom 
Buben stieg er zum Knappen empor, focht an der Seite seines Herrn, wich in 
keiner Gefahr von ihm, hatte vielleicht das Glück, ihm durch eine tapfere Thal 
das Leben zu retten; und wenn er nun die ganze siebenjährige Lehrzeit untadel¬ 
haft durchgemacht hatte, so empfing er im 21. Jahre als Lohn seiner Treue 
und Standhaftigkeit den Ritterschlag. Dies war das höchste Fest im Leben 
des jungen Ritters. Durch Fasten und Beten und den Empfang der Sakra¬ 
mente bereitete er sich dazu vor. Dann empfing er aus den Händen der Edel-
	        
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