Schilderung des Mittelalters. 9t
Straßburg, Aachen, Köln, Lübeck und mehrere andere konnten 20,000 und mehr
wehrhafte Männer in den Kampf führen.
Die Städte waren damals durch ihre Mauern, t mit den festen Thürmen
darin, recht gut beschützt: denn man hatte die Kraft noch nicht erfunden, sie
durch Hülfe des Schießpulvers mit dem schweren Geschütze einzuschießen. Um
nicht einen gar zu großen Raum mit Mauern umschließen zn müssen, der zu
schwer zu vertheidigen gewesen wäre, wurden Häuser und Straßen sehr eng zu¬
sammengebaut, wie wir es noch in den alten Städten finden. Die Bürger
wohnten viel enger und einfacher, als wir; auch ihr tägliches Leben war mäßi¬
ger; nur bei großen, seltenen Festen des Hanfes wurde oft ein fürstlicher Auf¬
wand gemacht; und eben fo verwandten sie außerordentlich viel ans die großetr
öffentlichen Gebäude, besonders die Kirchen, die zur Zierde ihrer Vaterstadt ge¬
reichten. Solche Kirchen und Thürme werben heutiges Tages nicht mehr gebaut
und wir bewundern sie mit Recht als unvergängliche Denkmäler des Fleißes,
der Ausdauer und der Geschicklichkeit unserer Borfahren. Der Münsterthurm in
Straßburg ist 442 Fuß hoch und von unten bis oben von der künstlichsten Ar¬
beit, so daß fast kein Stein daran zu sehen ist, der nicht irgend eine Zierrath
an sich trüge; eben so bewunderungswürdig ist die Kirche, und an dem ganzen
Werke ist nicht weniger als 424 Jahre, freilich mit Unterbrechung, gearbeitet.
Auch die Dome in Köln, Erfurt, Magdeburg und Halberstadt, die Stephans¬
kirche in Wien, die St. Sebalduskirche in Nürnberg, der Dom in Freiburg,
die Elisabethkirche in Marburg, gehören zu den außerordentlichen Gebäuden; und
so könnten ihrer noch viele in den deutschen Städten genannt werden. — Um
nun die großen Kirchen auch im Innern würdig auszuschmücken, mußten die
Maler und Bildhauer, die Holzschneider und Glasmaler helfen,
und daher blühten diese Künste auf das herrlichste. Die Werke aus jenen Zei¬
ten, die mit Unrecht von manchen barbarisch genannt worden sind, dienen noch
immer als Muster für uns.
Auch bie Dichtkunst und die Musik wurden nicht versäumt. Sie dien¬
ten, sowohl die kirchlichen Feste, als die der geistlichen und weltlichen Fürsten
und der reichen Bürger in den Städten, zn verherrlichen. Da war kein Gast
so willkommen, als der Sänger, welcher die Heldenthaten der Vorfahren, bett
Ruhm ber Geschlechter, die Schönheit der Natur, die Erhabenheit des Schöpfers
oder irgend ein schönes menschliches Gefühl zum Klang der Harfe besang. Die
Dichtkunst war so hoch geehrt, daß Kaiser und Könige, Herzöge, Grafen und
Ritter sie übten und einen hohen Ruhm darin fanden, wenn ihre Lieder von
einem Ende des deutschen Landes bis zum anderen gesungen wurden.
Die ernsten Wissenschaften, die Erforschung der Religion, der Geschichte,
der Philosophie, die Naturkunde und Mathematik, waren vorzüglich das Eigen¬
thum der Geistlichkeit. Diese hatte dazu durch ihren Stand selbst den er¬
sten Beruf, und besonders boten die stillen Mauern der Klöster fast ben einzigen
schicklichen Platz bazu bar. Das Klosterwesen kam im Mittelalter ebenfalls zu
feiner höchsten Blüte. Schon im Anfange bes 6. Iahrhnnberts hatte ber Abt •
Benedict von Nursia seinem Kloster zu Monte :asfino in Unteritalien eine
strenge Regel gegeben, welche bald allenthalben nachgeahmt und durch welche das
ganze Klosterleben geordnet wurde. Aus dem wichtigen Mönchsorden der Be¬
nedict in er sind mehr als 30 Päpste hervorgegangen. In allen christlichen
Ländern wurden zahlreiche Klöster gestiftet und durch die Freigebigkeit der Für-