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Starhemberg Zeit, die verfallenen Festungswerke wieder in Ver¬
teidigungszustand zu setzen.
2. Wien wird heldenmütig verteidigt. Im Juli erschienen die
Türken vor Wien. Eine denkwürdige Belagerung hob an. Soldaten,
Studenten und Bürger wetteiferten im Dienste für die bedrohte Haupt¬
stadt und das Vaterland. Hatten die Türken mit großen Opfern einen
festen Punkt gewonnen, so fanden sie sicherlich dahinter eine neue Schutz¬
wehr errichtet. Hatten sie im Sturm den Wall erstiegen, so wurden
sie mit Todesverachtung von den Verteidigern empfangen und in die
Gräben hinabgestürzt. Legten sie Minen im Innern der Erde an, um
die Festungswerke in die Luft zu sprengen, so begegneten sie gewiß einer
Gegenmine, die ihre Arbeit vernichtete. Nicht selten entspann sich im
dunklen Schoß der Erde ein heißer Kampf. Jeden Fuß breit mußten
die Türken mit Strömen Blutes und Hunderten von Leichen erkaufen.
Doch zuletzt hätte selbst ein solcher Heldenmut der zehnfachen Übermacht
erliegen müssen. Da erschienen nach langem Harren und Hoffen plötzlich
auf der Höhe des Kahlenberges flammende Feuerzeichen und verkündeten die
Nähe der Retter. Unter den Kurfürsten von Bayern und Sachsen und dem
ritterlichen Polenkönig Johann Sobieski rückte das Entsatzheer heran.
3. Wien wird entsetzt und das Türkenheer vernichtet. Ein
heißer Kampf entspann sich am folgenden Morgen und tobte den ganzen
Tag. Deutsche und Polen überboten sich in Thaten der Tapferkeit.
Endlich war kein Halten mehr bei den türkischen Horden; im Schutze der
sinkenden Nacht suchten sie Rettung in eiliger Flucht. Unermeßliche Beute
und Tausende von Christensklaven fielen den Siegern in die Hände. Sie
wurden in Wien mit unbeschreiblichem Jubel und den höchsten Ehren
empfangen, besonders Johann Sobieski, der Held des Tages. Das Volk
küßte ihm Füße und Steigbügel, und in den Kirchen wurde bei einem
feierlichen Dankgottesdienst als Text das Bibelwort gewählt: „Es war
ein Mattn von Gott gesandt, der hieß Johannes." Ganz Europa
freute sich über den Sieg, nur der französische König nicht,
dessen Pläne gescheitert waren. Kaiser Leopold aber hatte in der Zeit
peinliche Bedenken darüber, wie er dem Wahlkönige seine Dankbarkeit
bezeugen könne, ohne seiner Würde etwas zu vergeben. In den nun
folgenden Türkenkriegen erfocht Prinz Eugen, „der edle Ritter",
manchen herrlichen Sieg, eroberte Belgrad und entriß den Türken
1699 Ungarn und Siebenbürgen.
4. Das Kulturleben am Ende des 17. Jahrhunderts. Das
staatliche Leben siechte ohnmächtig hin. Der deutsche Kaiser mußte jede
Hilfe der Fürsten durch Zugeständnisse erkaufen. Steuern an das Reich zahlte
man wenig oder gar nicht. Die einzelnen Fürsten liebäugelten mit
Frankreich, dachten nur an ihren Vorteil und verkauften wohl gar ihre
Stimmen dem „Schiedsrichter an der Seine". Fürsten wie August
der Starke von Sachsen verschwendeten Unsummen, die sie den Unter-
thanen abgepreßt hatten; andere verkauften ihre Landeskinder als Söldner
an fremde Machthaber. Französische Köche, Tanzmeister und Haar¬
kräusler waren die Hauptpersonen in reichen Häusern. Der Adel ver-