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seine Botschaft vom 17. November 1881 die Gesetzgebung zum 1881
Schutze der Arbeiter eiuleitete, als Fürst Bismarck den Abgeordneten
zurief: „Geben Sie dem Arbeiter, solange er gesund ist, Arbeit, wenn
er krank ist, Pflege, wenn er alt ist, Versorgung!"
Den Worten folgten die Thaten. Kaiser Wilhelm I. erlebte es noch,
daß 1883 das Krankenkassen-, 1884 das Unfall-Versicherungs¬
gesetz zustande kam und 1887 das Gesetz über Alters- und In¬
validenversicherung beraten wurde.
10. Der fromme Christ und sein Ende. Aufrichtige Gottesfurcht,
zarte Gewissenhaftigkeit und unermüdlicher Pflichteifer waren die Trieb¬
kräfte im Herzen und Leben des Kaisers Wilhelm. Ein goldner Lebens¬
abend schien Kaiser Wilhelm beschieden zu sein. Geliebt und geehrt,
wie nie ein Monarch vor ihm, beging er am 11. Juni 1879 das seltene 1879
Fest der goldenen Hochzeit, welches in allen deutschen Gauen unter
der innigsten Teilnahme von hoch und niedrig gefeiert wurde. Eine
Reihe wohlthätiger Stiftungen werden die Erinnerung an diesen Tag
auch noch in der Zukunft segenskräftig machen. Am 27. Februar erlebte
das greise Kaiserpaar die große Freude, daß sein Enkel Prinz Wilhelm,
ältester Sohn des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und der Kron¬
prinzessin Viktoria, sich mit der Prinzessin Auguste Viktoria von
Schleswig-Holstein vermählte. Aus dieser Ehe sah er noch vier
kräftige Urenkel erblühen. Als dann der 90. Geburtstag herankam, da
zeigte sich erst recht, welche Liebe und Verehrung der edle Herrscher
überall genoß. Eine allgemeine Begeisterung ergriff ganz Deutschland;
der 22. März 1887 wurde allerwegen als ein Volks- und Familienfest 1887
gefeiert. Doch diesen sonnigen Tagen folgten bald düstere. Zwar gelang
es der Weisheit des Kaisers und seines Kanzlers, die Wetterwolken des
Krieges zu zerstreuen, die drohend aus Westen und aus Osten heraufzogen;
aber die schwere Erkrankung des Kronprinzen an einem tückischen
Kehlkopfleiden legte sich im Sommer 1887 wie ein Alp auf das kaiser¬
liche Haus und das ganze deutsche Volk. Weder in England noch in
Italien fand der Kronprinz Heilung. Mit banger Sorge und sinkender
Hoffnung empfing man in Deutschland die Nachrichten aus San Remo, wo
der geliebte Kranke in milder Luft weilte. Mitten in diesen Bekümmernissen
traf den Kaiser noch ein neuer Schlag: der Tod des jungen Prinzen
Ludwig von Baden, seines geliebten Enkels. Diese Gemütserschütterungen
in Verbindung mit einer Erkältung und einem alten Nierenleiden warfen
den Greis in den ersten Märztagen 1888 auf das Krankenlager, das 1888
am 9. März zum Totenlager wurde. Im frommen Gottvertrauen, ge¬
stärkt durch fromme Sprüche und Lieder und die Liebe der Seinen,
entschlief er als gläubiger Christ sanft und selig. Unbeschreiblich war
die Trauer des Volkes, welches nicht bloß den Landes fürsten, sonden
auch den edelsten Landes Vater mit ihm verlor. Die ganze Welt nahm
an dieser Trauer teil; allerorten ehrte man den weisen Friedensfürsten,
wie es noch nie zuvor geschehen war. Aus den fernsten Gegenden
trafen Beileidsbezeigungen und die kostbarsten Kränze und Blumen¬
spenden ein. Thränenden Auges pries wenige Stunden nach dem