Full text: Von Armin bis zum Augsburger Religionsfrieden (Teil 1)

XVIII 
nämlich bic „Geschichte der äußeren Schicksale" oder bic politische Ge¬ 
schichte und sodann die „zuständliche Geschichte" oder Kulturgeschichte. 
In welchem Verhältnisse haben beide im Geschichtsunterrichte der 
Volksschule zu einander stehen? 
Bisher ist ohne Zweifel einzig und allein nur die eiue Seite der 
Geschichte betont worden: „die Geschichte der äußeren Schicksale". Der 
gesamte Geschichtsunterricht bestand in weiter nichts als in der Vorführung 
der Kriegsgeschichte; „Fechten und Totschlagen" war nahezu der einzige 
Inhalt der Geschichte. Die Kulturgeschichte wurde entweder gänzlich uu- 
berücksichtigt gelassen, oder — wenn es hoch kam — anhangsweise und 
nur extraktartig in möglichster Kürze abgethan. Und wie kam man zu 
einer solchen Bevorzugung der Kriegsgeschichte? Man sagte, der Knabe 
wolle nur von Thaten und Personen hören, das andere habe für ihn 
keinen Reiz, kein Juteresse. Es zeigt diese Behauptung eben wieder, daß 
man nicht vom psychologischen Standpunkte aus die Stoffsichtung vor- 
nahm. Wollte man sich immer nur daruach richten, was der Kuabc 
will, was „Reiz für ihn hat", nun so dürften wir ihn überhaupt keine 
Geschichte bieten, ihn höchstens mit Sagen oder allerhand Räuber- 
geschichteu, in denen möglichst viel „abgeschlachtet" werden, abspeisen. 
Wohin in aller Welt sollten wir dann kommen? 
So beschaffen war der Geschichtsunterricht vor fünfzig Jahren! 
Und heute ist man trotz der vielen Mahnrufe bedeutender Pädagogen 
kaum einen Schritt vorwärts gekommen, wie aus den vorhandenen Ge- 
fchichtsbüchern und -leitfädeu leicht ersichtlich ist. Immer noch legt man 
das Hauptgewicht auf die politische Seite der Geschichte und erblickt das 
Heil darin, möglichst viel Schlachten und Feldherren dem Gedächtnisse der 
Schüler anszubürbeu. Diese Einseitigkeit, biese Ungleichheit in der Be- 
tonung der beiden Seiten der Geschichte trägt nicht zum geringen Teil 
dazu bei, die Lösung der Aufgabe, die dem Geschichtsunterrichte zufällt, 
zu erschweren, wenn nicht gar in Frage zu stellen. Darum: Nicht 
bloß die politische Geschichte, sondern auch die ganze Kultur- 
geschichte muß eine den Bedürfnissen der Volksschule eut- 
sprechende Stelle im Unterrichte finden; „denn auf dem kultur- 
historischen Hintergrunde gewinnen die geschichtlichen Personen erst wahres 
Leben und wahre Gestalt. Hier liegen die natürlichen Bedingungen des 
Handelns, und ein Charakter läßt sich voll und wahr erst aus den 
Formen, Sitten, Bedürfnissen und Bestrebungen seiner Zeit verstehen." 
„Die kulturhistorischen Momente sind es oft ganz allein, welche die 
Pforten der Aufmerksamkeit öffnen und Sinn und Gemüt für den idealen 
Gehalt einer historischen Begebenheit empfänglich machen. Durch das Aus- 
malen der geschichtlichen Szenerie wird das Lebensbild anschaulich, lebendig, 
das Überlieferte in helles Licht gesetzt, sodaß das Kind, nachdem es in dem
	        
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