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nämlich bic „Geschichte der äußeren Schicksale" oder bic politische Ge¬
schichte und sodann die „zuständliche Geschichte" oder Kulturgeschichte.
In welchem Verhältnisse haben beide im Geschichtsunterrichte der
Volksschule zu einander stehen?
Bisher ist ohne Zweifel einzig und allein nur die eiue Seite der
Geschichte betont worden: „die Geschichte der äußeren Schicksale". Der
gesamte Geschichtsunterricht bestand in weiter nichts als in der Vorführung
der Kriegsgeschichte; „Fechten und Totschlagen" war nahezu der einzige
Inhalt der Geschichte. Die Kulturgeschichte wurde entweder gänzlich uu-
berücksichtigt gelassen, oder — wenn es hoch kam — anhangsweise und
nur extraktartig in möglichster Kürze abgethan. Und wie kam man zu
einer solchen Bevorzugung der Kriegsgeschichte? Man sagte, der Knabe
wolle nur von Thaten und Personen hören, das andere habe für ihn
keinen Reiz, kein Juteresse. Es zeigt diese Behauptung eben wieder, daß
man nicht vom psychologischen Standpunkte aus die Stoffsichtung vor-
nahm. Wollte man sich immer nur daruach richten, was der Kuabc
will, was „Reiz für ihn hat", nun so dürften wir ihn überhaupt keine
Geschichte bieten, ihn höchstens mit Sagen oder allerhand Räuber-
geschichteu, in denen möglichst viel „abgeschlachtet" werden, abspeisen.
Wohin in aller Welt sollten wir dann kommen?
So beschaffen war der Geschichtsunterricht vor fünfzig Jahren!
Und heute ist man trotz der vielen Mahnrufe bedeutender Pädagogen
kaum einen Schritt vorwärts gekommen, wie aus den vorhandenen Ge-
fchichtsbüchern und -leitfädeu leicht ersichtlich ist. Immer noch legt man
das Hauptgewicht auf die politische Seite der Geschichte und erblickt das
Heil darin, möglichst viel Schlachten und Feldherren dem Gedächtnisse der
Schüler anszubürbeu. Diese Einseitigkeit, biese Ungleichheit in der Be-
tonung der beiden Seiten der Geschichte trägt nicht zum geringen Teil
dazu bei, die Lösung der Aufgabe, die dem Geschichtsunterrichte zufällt,
zu erschweren, wenn nicht gar in Frage zu stellen. Darum: Nicht
bloß die politische Geschichte, sondern auch die ganze Kultur-
geschichte muß eine den Bedürfnissen der Volksschule eut-
sprechende Stelle im Unterrichte finden; „denn auf dem kultur-
historischen Hintergrunde gewinnen die geschichtlichen Personen erst wahres
Leben und wahre Gestalt. Hier liegen die natürlichen Bedingungen des
Handelns, und ein Charakter läßt sich voll und wahr erst aus den
Formen, Sitten, Bedürfnissen und Bestrebungen seiner Zeit verstehen."
„Die kulturhistorischen Momente sind es oft ganz allein, welche die
Pforten der Aufmerksamkeit öffnen und Sinn und Gemüt für den idealen
Gehalt einer historischen Begebenheit empfänglich machen. Durch das Aus-
malen der geschichtlichen Szenerie wird das Lebensbild anschaulich, lebendig,
das Überlieferte in helles Licht gesetzt, sodaß das Kind, nachdem es in dem