Full text: Charakterbilder aus der Geschichte der alten und beginnenden neuen Zeit (Bd. 1)

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Schattenseiten. Ursachen des Krieges. 
war auch viel schlechter. Nur die Einseitigkeit und Oberflächlichkeit schaut überall Ideale im 
Altertum. Die Lobpreisung des Vergangenen und Unzufriedenheit mit der Mitwelt gründet 
häufig bloß in einer Verstimmung des Gemütes oder in Selbstsucht, welche die umgebende 
Gegenwart gering achtet und nur die alten Heroen für würdige Genossen ihrer eingebildeten 
eigenen Größe hält. Es gibt Schattenseiten, weniger schön als die gewöhnlich herausgekehrten. 
Betrachtet das Innere des hellenischen Lebens im Staate und in den Familienverhältnissen. 
Ihr werdet selbst in den edelsten Stämmen, zu welchen Athen ohne allen Zweifel gerechnet 
werden mnß, ein tiefes, sittliches Verderben bis ins innerste Mark des Volkes eingedrungen 
finden. Wenn die freien Staatsformen und die kleinen unabhängigen Massen, in welche die 
Völker zersplittert waren, das Leben tief und mannigfach aufregten, wurden sie zugleich Anlaß 
zu unzähligen Leidenschaften und Verwirrungen, und rechnet man die großen Geister ab, 
die, in der Tiefe ihres Gemütes eine Welt einschließend, sich selbst genug waren, so erkennt 
man, daß die Menge der Liebe und des Trostes entbehrte, die eine reinere Religion in die 
Herzen der Menschen gegossen hat. Die Hellenen waren im Glänze der Kunst und in der 
Blüte der Freiheit unglücklicher als die meisten glauben; sie trugen den Keim des Unterganges 
in sich selbst und der Baum mußte umgehauen werden, als er faul geworden. 
Der peloponnesische Krieg. 
Athen war auf allen Seiten von offenen Feinden umgeben. Den Megarenfern, Böo- 
tiern und Korinthern war der Glanz des Nachbarstaates ein Ärgernis; ebenso blickten die 
Peloponnesier, namentlich aber die Spartaner mit feindseliger Eifersucht auf den Segen der 
Friedensjahre, welchen die Athener Perikles verdankten; aber auch die Bundesgenossen im 
eigenen Lager lauerten auf eine Gelegenheit, das lästige Joch abzuschütteln. Sie konnten 
als Hellenen den Verlust der Unabhängigkeit nicht verschmerzen und ihre Erbitterung war 
durch böswillige Aufregung zu einer: fieberhaften Hitze gestiegen. Noch mehrere Gründe kamen 
dazu, die den peloponnesischen Krieg vorbereiteten. 
Dahin gehört die außerordentlich vermehrte Bevölkerung. Man bedenke z. B., daß 
Korkyra 120 Galeeren ins Meer sendete. Wollen wir auch annehmen, daß die Ruderbänke 
größtenteils mit Sklaven besetzt waren, so können wir doch sicher sein, daß sie an 12.000 Mann 
zur Besetzung hatten, wenn sie vollständig bemannt waren, und das vom einzigen Korfu, 
während jetzt auf der ganzen Insel nur 60.000 Menschen wohnen. Die Zakynthier schickten 
den Korkyräern 1000 Hopliten zu Hilfe. In Athen stellten die Bürger und Metöken im 
Anfang des peloponnesischen Krieges 29.000 freie Hopliten; rechnen wir auf jeden eine Fa- 
milie von 5 Personen, so haben wir ungefähr 150.000 Freie. Mag nun auch die Zahl 
der Sklaven geringer gewesen sein als die der Freien, so ist doch das kleine Attika unglaub- 
lich bevölkert gewesen und man begreift wirklich nicht, wie die Leute imstande waren, nur 
das Brot zu kaufen, das aus der Fremde kam. Diese Überbevölkerung, wovon einen großen 
Teil die Armut drückte, war die Hauptursache der damaligen Gärung und des Verfalls der 
griechischen Nation. Armut erzeugte Not, Gärung und Revolution. 
Ferner hatten sich die alten Sitten überall sehr schnell verändert; eine außerordent- 
liche Lebhaftigkeit, ein Bedürfnis heftiger Gemütserreguugen, Neigung zu Neuem herrschten 
im ganzen Volke. 
In diesem Zustande war ein Zusammenstoß zwischen Athen und dem Peloponnes nicht 
zu vermeiden. Die glückliche Zeit Griechenlands war vorüber. Der peloponnesische Krieg
	        
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