Object: Bilder aus der vaterländischen Geschichte der Neuzeit

50 11. Aus der Zeit Wilhelms I. 
C. Der Kaiser Wilhelm L 
1. Wie der Kaiser lebte. Kaiser Wilhelm I. war schon 74 Jahre 
alt, als er Kaiser ward. Aber seine hohe Stellung war für ihn nicht bloß 
eine schöne Würde, sondern sie brachte ihm auch viel Arbeit. Trotz seines 
Alters war er unausgesetzt tätig, um seine Pflichten zu erfüllen. 'Schon 
früh zwischen 5 und 6 Uhr stand er auf. Den ganzen Vormittag 
arbeitete er, las Briefe und hörte die Vorträge seiner Minister. Nach¬ 
mittags fuhr er etwas spazieren, und von 3 bis 5 Uhr war wieder 
Arbeitszeit. Dazwischen kamen dann auch noch allerlei Reisen zu Denk¬ 
malseinweihungen und andern Festlichkeiten. Abends besuchte er häufig 
das Theater. Wenn es viel zu tun gab, arbeitete er auch noch des Nachts. 
2. Seine Einfachheit. Der Kaiser wohnte in Berlin in dem ein¬ 
fachen Palais am Eingänge der Straße „Unter den Linden". Wenn 
am Mittage die Wache mit Musik vorüberkam, stand der Kaiser meist 
am Fenster seines Arbeitszimmers. Das wußten die Leute, und wer 
den Kaiser sehen wollte, stellte sich hier auf und sah um diese Zeit 
nach dem „historischen Eckfenster", wie man das Fenster nannte. So¬ 
bald der Kaiser am Fenster erschien, zogen alle den Hut und verbeugten 
sich, der Kaiser aber dankte freundlich. — Der Kaiser schlief stets in 
einem eisernen, einfachen Feldbett, das er auch auf Reisen mitnahm. 
Als er einst im französischen Kriege nach einem Ort kam, wo alle 
Häuser mit Kranken und Verwundeten angefüllt waren, hatte man für 
den Kaiser mit vieler Mühe eine kleine Stube mit Bett, Tisch und 
Stuhl zum Nachtquartier gefunden. Da fragte er einen Offizier: „Wo 
bleiben Moltke und Bismarck?" Der Offizier sagte: „Bis jetzt noch 
nirgends!" Da sagte der Kaiser: „So laden Sie Moltke und Bismarck 
ein, die sollen hier mit lagern. Aber das Bett nehmen Sie weg; 
das brauchen die Verwundeten. Für uns drei lassen Sie Stroh und 
Decken bringen." So schlief der Kaiser die Nacht hier auf einem 
Strohlager. 
Seine Kleider trug er sehr lange. Einst bat ihn sein Diener um 
seinen abgelegten Rock. Freundlich fragte ihn der Kaiser: „Wieviel 
Geld bekommst du für diesen Rock?" „Sechs bis neun Mark," sagte 
der Diener. Da meinte der Kaiser: „Hier hast du das Geld! Den 
Rock aber will ich noch eine Weile tragen." — Als der Kaiser nach 
Ems ins Bad reisen wollte, schlug man ihm vor, er möge seinen alten 
abgenutzten hellen Überzieher durch einen neuen ersetzen. Der greise 
Monarch aber erklärte, der Überzieher sei noch ganz gut und genüge. 
Bei sonnigem Wetter in Ems angekommen, sah der Kaiser die Unzu¬ 
länglichkeit seines alten Überziehers aber doch ein und gab Befehl, 
einen neuen in Berlin zu bestellen. Der ungläubige Schneider des 
Kaisers aber traute der Sache nicht und fragte telegraphisch an, ob es 
auch wirklich wahr sei, daß Majestät einen neuen Überrock haben wolle? 
3. Der Kaiser und die Soldaten. Bis in sein Alter hinein 
blieb der Kaiser Soldat mit Leib und Seele. Sein Heer immer voll¬ 
kommener zu machen, war mit seine Hauptsorge. Wenn er eine 
Truppenbesichtigung oder eine Parade angesetzt hatte, so hielt ihn nicht
	        
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