Krieg mit den Teutschen. TiberiuS. Caligula. 107
Tiberius stand von allen weiteren Eroberungen in Deutschland ab. Dagegen
kämpfte nun der niederdeutsche Cheruskerbund mit dem unter Marbod
stehenden oberdeutschen Markomannenbunde, der von der March und Do¬
nau bis zur Spree und Saale sich erstreckte. Marbod mußte sich zurückziehen,
wurde von dem Gothen Catualda in Böhmen überfallen, aus seinem Lande
vertrieben, begab sich in den Schutz der Römer und starb zu Ravenna. Her¬
mann wurde nach glücklich beendigtem Kriege von neidischen und hinterlistigen
Verwandten und Freunden ermordet.
Anfangs regierte Tiberius mild, bald aber grausam und despotisch. Er
vernichtete durch Aufhebung des Rechts der Volksversammlung, die Magistrate
zu wählen, den letzten Rest der Volksfreiheit und behandelte den Senat wie
eine Versammlung von Sklaven. Unter ihm kam jenes heillose Spionir- und
Angebersystem (delatores) auf, wobei die besten Bürger wegen Majestätsver¬
brechen angeklagt und mit Verbannung, Tod und Vermögenseinziehung bestraft
wurden. Seinen Neffen und Adoptivsohn Germaniens, der als Liebling
des Volkes des Kaisers Mißtrauen im höchsten Grade erregte, _ schickte er in
den Orient, wo verschiedene Verhältnisse zu ordnen waren, und ließ ihn durch
den syrischen Statthalter Piso in Antiochia vergiften, später auch dessen Gemahlin
und zwei Kinder tödten. Sein Günstling war der listige und lasterhafte 19.
Älius Sejanus, der, zur Befestigung seiner eigenen Macht, dem Kaiser rieth,
für die Prätorianer, welche indessen in Rom und der Umgegend zerstreut ge¬
wesen waren, große befestigte Kasernen in Rom zu erbauen (castra praeto-
riana). Sejan ließ des Tiberius einzigen Sohn Drusus vergiften und wollte 23.
dessen Witwe heiraten, was ihm der Kaiser abschlug. Endlich beredete er,
um seine Herrschsucht ohne Scheu befriedigen zu können, den Kaiser, Rom zu
verlassen und auf der Insel Capreä (Capri) zu wohnen. Tiberius verlebte26.
hier den Rest seines Lebens in Ausschweifungen versunken, während Sejan zu
Rom als Kaiser schaltete und sich des Thrones zu bemächtigen suchte. Als
dies Tiberius erfuhr, machte er Macro zum Gardepräfekten und ließ Sejan
verhaften und tödten. Übrigens wurden die Provinzen unter ihm gut ver¬
waltet und mit den Staatsgeldern haushälterisch umgegangen, so daß er einen
Schatz von 135 Millionen Thalern zurückließ. Als er auf seiner Villa bei
Misenum krank wurde und in einer Ohnmacht wie todt da lag, wurde des
Germaniens jüngster Sohn, Caligula, als Kaiser begrüßt. Aber der alte
Kaiser wachte wieder auf, und nun ließ ihn Macro schnell durch Decken, die
über ihn hergeworfen wurden, ersticken. 37.
Der neue fünfundzwanzigjährige Kaiser, Cajus Cäsar Caligula (ca-37-41.
ligula, Soldatenstiefelchen, wie er sie als Kind bei dem Heere seines VaterZ
trug), begieng viele von Wahnsinn zeugende Handlungen, verschwendete in
einem einzigen Jahre den Schatz des Tiberius, erklärte sich selbst für einen
Gott, baute sich einen Tempel, ernannte sein Lieblingspferd zum Priester, ließ
während seiner Mahlzeit Menschen foltern und tödten und wünschte dem gan¬
zen römischen Volke nur einen Kopf, um ihn mit einem Hiebe abhauen
zu können. Sein Wahlspruch war: oderint, dura metuant, „man mag mich
Haffen, wenn man mich nur fürchtet." Um auch als Feldherr zu glänzen,
unternahm er einen Feldzug an den Rhein, ließ Deutsche aus seiner Leibwache
auf dem rechten Rheinufer sich verstecken und dann als Gefangene herüber¬
bringen, plünderte Gallien aus, fuhr bei dem heutigen Boulogne, unter dem
Vorgeben, nach Britannien zu segeln, eine Strecke weit ins Meer, ließ als
Beutestücke Muscheln auflesen und hielt wegen dieser Heldenthaten zu Rom