finden konnte. Lottchens Fleiß brachte es dahin, daß sie nach
drei Vierteljahren in die erste Abtheilung, und ein halbes Jahr
darauf mit Lob in die zweite Klasse gesetzt wurde, wodurch sie
ihre Eltern zu den besten Hoffnungen für die Zukunft berech¬
tigte. Auch in ihrem sittlichen Betragen, woran den Eltern
am meisten lag, war sie untadelhaft, und empfahl sich beson¬
ders durch ihren bescheidenen, kindlichen Sinn, und durch ein
anständiges Aeußere, durch Reinlichkeit und Ordnungsliebe.
Nur eines hatte die achtsame Mutter an ihrem Lottchen
auszusetzen, und da nahm sie sich denn vor, einmal recht ernst¬
lich darüber mit ihr zu sprechen. Sie hatte nämlich bemerkt,
daß Lottchen in den Handarbeiten gar sehr zurückblieb, und nie
rechte Lust dazu zeigte, ja es schien sogar, als wenn diese Un¬
lust mit den Jahren starker würde. Ein Uhrband , an dem sie
in der Schule häkelte, wollte gar nicht fertig werden, und an
dem Strümps, den sie zu Hause unter Aufsicht der Mutter
strickte, mußten sehr oft die Maschen wieder aufgetrennt wer¬
den. Alles andere that sie von selbst aus eigenem Antrieb,
aber zur Handarbeit ließ sie sich immer erst auffodern und er¬
muntern. Da stellten ihr denn die Eltern vor, daß die Be¬
schäftigung mit den Handarbeiten höchst nützlich und nothwen¬
dig für ein junges Mädchen sey, und da die Mutter in dieser
Angelegenheit die erste Stimme hatte, so nahm sie auch das
Wort: „Höre Lottchen, sagte sie, ich habe bisher deine Strümpfe
von fremden Leuten stricken lassen. Das kann aber so nicht
bleiben; unsere Wirthschaft wird größer und dein Vater muß
sich das Brod sauer verdienen. Ich verlange also von dir, daß
du für deine Strümpfe selbst sorgst, und uns diese Ausgabe
ersparst. Du weißt nicht, ob du künftig nicht für andere Leute
wirst stricken und nähen müssen, und wenn das auch nicht nö¬
thig wäre, so sind die Handarbeiten für ein Mädchen eine nütz¬
liche Beschäftigung, welche Hand und Auge übt, und uns
nicht hindert, dabei noch einem lehrreichen Gespräche zuzuhö¬
ren, oder in einem nützlichen Buche zu lesen." Ich lobe,
setzte der Vater hinzu, deinen Eifer in den wissenschaftlichen
Gegenständen, und freue mich, daß du deinen Verstand mit
nützlichen Kenntnissen bereicherst; aber wenn du dich in den
weiblichen Kunstfertigkeiten vernachlässigest, so wirst du von
deinem Geschlecht ausgelacht und verspottet werden, und Jeder-