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stand geschaffen. Bis dahin waren die Bauern nur Nutznießer ihres Ackers
gewesen, hatten dafür unzählige Frondienste leisten, Geld zahlen und Ge¬
treide liefern müssen. Ohne Erlaubnis ihrer Gutsherren durften sie nicht
fortziehen, ihre Kinder weder heiraten noch in fremde Dienste treten lassen.
Jetzt fielen alle diese Schranken. Eine freudige Regsamkeit trieb zu mancherlei
Verbesserungen. Ein freier Bauernstand erwuchs zu einer der festesten
Stützen des Staates. — Auch Gewerbefreiheit wurde eingeführt, der
Back-, Mahl- und Brauzwang sowie alle Vorrechte beseitigt, der Unterschied
der Stände aufgehoben, die Steuerlast gleichmäßiger verteilt und gleiche Ge¬
rechtigkeit gegen alle Unterthanen geübt. — Die höchste Verwaltung des
Staates wurde so geordnet, daß fünf Fachminister an die Spitze der wich¬
tigsten Verwaltungszweige traten. In Berlin wurde eine Universität ge¬
gründet , und Fichte hielt seine zündenden Reden an die deutsche Nation.
Jahn machte die Jugend durch das Turnen wehrhaft. Scharnhorst und
Gnetsenau schufen durch die „allgemeine Wehrpflicht" ein Volk in Waffen
Zwar wurde Stein von Napoleon geächtet und floh nach Rußland, aber
in der Stille trieb es gewaltig weiter einem großen Ostermorgen entgegen.
Die edle Königin Luise erlebte den Auferstehungstag nicht. Die Leiden hatten
ihr Leben geknickt; am 19. Juli 1810 starb sie zur unsäglichen Trauer des
Kömgs und des ganzen Landes. Doch auch im Tode blieb sie der gute
Geist des Vaterlandes. Ihr verklärtes Bild begeisterte ihr ganzes Volk in
den Befreiungskriegen.
Noch einmal wurde erfolglos au den Ketten gerüttelt: Österreich siegte
1809 durch den Erzherzog Karl bei Aspern, unterlag aber bei Wagram
und verlor wieder große Länderstrecken. Kaiser Franz mußte sogar dem
Sieger seine Tochter zur Frau geben, nachdem sich dieser von seiner ersten
Gattin hatte scheiden lassen. — In Tirol rief der treue Sandwirt Andreas
Hofer das Volk gegen Bayern und Franzosen auf, unterlag aber nach
manchem Siege der Übermacht und wurde in Mantua erschossen. — In
Norddeutschland versuchte der Major Schill vergeblich, das fremde Joch
abzuschütteln. In Stralsund fiel er mit den Seinen durch die Dänen.
6. Das Morgenrot der Freiheit ging in Rußland auf. Auch dies
Land wollte Napoleon unterwerfen. Mit der „großen Armee" von lk Mill.,
wovon J/3 Deutsche waren, brach er in drei Heersäulen 1812 in Rußland
ein und nahm nach zwei blutigen Siegen das stolze Moskau. Bald aber
brachen in der Stadt überall Flammen aus und vertrieben die Franzosen.
Napoleon rettete sich mit Lebensgefahr aus dem Feuermeere. Auf feine
Friedensvorschläge erwiderte der Kaiser Alexander, „nun solle der Krieg erst
angehen". Zögernd entschloß sich Napoleon zum Rückzüge durch ein ausge¬
sogenes Gebiet. Frühzeitig kam ein strenger Winter, und bald waren alle
Bande der Ordnung in dem Heere aufgelöst. In allen Gestalten ging der
Tod und die Not durch die Kriegerreihen. Hunger, Frost, Wölfe und Ko¬
saken töteten Tausende, und aber Taufende fielen in Gefangenschaft. Bei
dem Übergänge über die Beresina brachen die Brücken, und Tausende er¬
tranken oder wurden gefangen. Napoleon verließ in dieser Not treulos die
Seinen, eilte nach Paris und stellte das Unglück dort so klein wie möglich
dar. Von der stolzen Armee kamen etwa 20 000 Mann zerlumpt, halb er¬
froren und verhungert in Polen an.
7. Preußens Erhebung 1813. „Das ist Gottes Finger! Jetzt oder
nie!" ging es durch alle preußischen Herzen. General Aork, der Befehls¬
haber der preußischen Hilfstruppen, schloß mit den Russen einen Vertrag