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Sie flehte ihn um Schonung ihres guten Vaters an; sie sagte ihm,
wie schuldlos er litte, da ihn nur der Fall anderer Häuser in die Ver¬
legenheit gebracht, nicht augenblicklich bezahlen zu können. „Haben Sie
Mitleid," sprach die gute Tochter, „haben Sie Mitleid mit meinem
armen Vater, der den Ruf strenger Rechtlichkeit immer für sich hatte;
haben Sie Mitleid mit uns, feinen unschuldigen Kindern! Uns rauben
Sie den Ernährer, dem Geschäft den Vorsteher, dem Vater den guten
Namen für immer! Ja, wenn Sie auf Ihrer Absicht beharren, so folgt
sogar, daß Sie das Haus nötigen, sich bankerott zu erklären, wodurch
Sie alsdann nicht bloß uns, sondern auch sich selbst den größten
Schaden zufügen. Befreien Sie ihn aber, so wird er seinen Fleiß
verdoppeln und Ihnen redlich alles bezahlen." Heiße Thränen rannen
über die Wangen des braven Mädchens. Sie nahm nun ihre Schmuck¬
sachen und ihr Sparbüchsengeld und legte es vor den Mann hin, der
ihr schweigend bis jetzt zuhörte, und sagte: „Nehmen Sie dies als
Abschlagszahlung. Es ist alles, was ich besitze, und was ich mir seit
Jahren erspart habe. Ich habe einen Plan entworfen, den Sie billigen
werden. Sie bedürfen gewiß in Ihrem Hauswesen eines Dienstmädchens.
Ich flehe Sie an, geben Sie mir diese Stelle. Den Lohn, welchen Sie
einem solchen Mädchen geben, rechnen Sie jährlich auf meines Vaters
Schuld ab. Ich will arbeiten Tag und Nacht, soweit meine Kräfte
reichen. Keine Arbeit soll mir zu schwer, keine zu niedrig sein. Ich
will sie thun ohne Widerrede, ohne Säumen. Ich will Ihr Bestes
fördern, wo ich kann — nur geben Sie meinen guten Vater frei, daß
meine liebe Mutter und meine Geschwister nicht darben müssen, daß
keine Schande unsern guten Ruf verderbe und meine kleinen Geschwister
einen Erzieher haben. Ich will das Unterpfand sein." Sie sprach
diese Worte mit hinreißendem Gefühl. Der Kaufmann hatte mit Gewalt
seine Thränen unterdrückt, jetzt aber brachen sie unaufhaltsam hervor.
„Ihr Vater," sagte er, „ist ein von Gott reich gesegneter Mann, denn
in Ihnen hat er einen reichen Schatz; aber ich erkenne es, er ist auch
ein braver Mann; denn nur ein solcher kann solch ein Kind erziehen.
Ich danke Gott," fuhr er fort, „daß er Sie zu mir geführt hat; denn
M Sie sind mir ein guter Engel geworden, der mein Herz von einer
Härte heilt, die ihm ein nichtswürdiger Betrüger eingeflößt hat. Gehen
Sie hin, Ihr Vater ist frei, aber kehren Sie bald wieder mit ihm
zurück; ich muß mit ihm reden." Schnell schrieb er nun seinen Ent¬
schluß dem Gerichte, sandte das Schreiben ab, und Mortier war frei.
Unaussprechlich war Adelinens Glück. Unaussprechlich war ihre
Freude, daß sie ihrem teuren Vater die Freiheit ankündigen durfte.
Wie staunte der Vater! Wie innig dankten beide Gott! Wie innig
segnete er sein vortreffliches Kind! Noch aber wußte er nicht alles,
was sie gethan. Erst als er mit Adeline zu dem Kaufmann kam und
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