Full text: Deutsche Geschichte für Schule und Haus nach den Forderungen der Gegenwart für das Königreich Bayern

126 X. Die Gegenwart. 
123. Unsere Gerichte. 
1. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit wird jetzt durch Amts¬ 
gerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und das Reichsgericht aus¬ 
geübt. Die Gerichte sind Staatsgerichte. Die Privatgerichtsbarkeit ist 
aufgehoben. Fast in jeder kleineren Stadt ist ein Amtsgericht, in jeder 
größeren Stadt ein Landgericht, in jeder preußischen Provinz und jedem 
der übrigen Bundesstaaten ein Oberlandesgericht. Das Reichsgericht 
als oberstes Gericht des ganzen deutschen Reiches hat seinen Sitz in 
Leipzig. Den Amtsgerichten stehen Einzelrichter vor. Die hohem 
Gerichte werden mit der erforderlichen Anzahl von Richtern besetzt. 
Wer mit dem Urteile der niedern Gerichte nicht zufrieden ist, kann \n 
der Regel Berufung einlegen und von Gericht zn Gericht bis zum 
Reichsgerichte gehen. Die Gerichtssprache ist die deutsche. Die Ver¬ 
handlungen werden öffentlich geführt, doch kann der Zutritt uner¬ 
wachsenen Personen und solchen, welche in einer der Würde des Gerichts 
nicht entsprechenden Weise erscheinen, versagt werden. 
2. Damit -auch das Volk wieder seiuen Anteil an der Rechts¬ 
findung erhält, sind für die Verhandlung und Entscheidung von 
Strafsachen bei den Amtsgerichten Schöffengerichte und bei den Land, 
genchten Schwurgerichte gebildet. Jedes Schöffengericht besteht aus 
dem Amtsrichter als Vorsitzenden und zwei Schöffen. Jedes Schwur¬ 
gericht besteht aus drei gelehrten Richtern und zwölf Geschworenen. 
Schöffe und Geschworener kann jeder selbständige Deutsche werden, der 
das dreißigste Lebensjahr zurückgelegt hat, sich im Besitze der bürger¬ 
lichen Ehrenrechte befindet und keine öffentliche Armenunterstützung 
genießt; sie üben bei der Gerichtsverhandlung das Richteram't in 
vollem Umfange und mit gleichem Rechte wie die gelehrten Richter. 
Jeder Ortsvorsteher hat alljährlich ein Verzeichnis der in seiner Ge¬ 
meinde wohnhaften Personen, welche zum Schöffenamte berufen werden 
können, aufzustellen und an den Amtsrichter zu schicken. Nach diesem 
Verzeichnisse werden dann Schöffen und Geschworene gewählt. Das 
Verzeichnis muß in der Gemeinde eine Woche lang zu jedermanns 
Einsicht ausliegen. — Die Richter beziehen in ihrer richterlichen Eigen¬ 
schaft ein festes Gehalt mit'Ausschluß von Gebühren. 
3. Die Gerichte bezeichnen strafbare Handlungen als Verbrechen, 
Vergehen oder Übertretung. Das Urteil über dieselben lautet auf 
Todesstrafe, Zuchthausstrafe, Gefängnisstrafe, Festungshaft, Haft oder 
Geldstrafe. Die Todesstrafe ist durch Enthauptung zu vollstrecken. 
Neben der Todesstrafe und Zuchthausstrafe kann auf den Verlust der 
bürgerlichen Ehrenrechte erkannt üierden. Die Aberkennung der bürger¬ 
lichen Ehrenrechte bewirkt den dauernden Verlust der öffentlichen 
Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen, ferner die Unfähigkeit, 
in das deutsche Heer oder die Kaiserliche Marine einzutreten, in 
öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wühlen oder gewählt zu 
werden, Zenge bei Aufnahme von Urkunden, Vormund oder dergleichen 
zu sein. Neben einer Freiheitsstrafe kann endlich auf Polizeiaufsicht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.