4 1. Die alten Deutschen.
Einzelne mußte sich der Sippengemeinschaft unterordnen; die Sippe
ivählte ihm sein Weib, sie schrieb ihm seine Freundschaft wie seine
Feindschaft vor. Der Grund und Boden war Eigentum der Sippe,
diese legte die Siedelung an, bestimmte das Land, das bebaut werden
sollte. Die Sippe verfolgte jede Friedensstörung, vor allem auch den
Totschlag, gegen den die Blutrache angewendet wurde. Die zu der
Sippe gehörenden Hausherren nahmen eine gleichberechtigte Stellung
ein, der älteste unter ihnen übte als Aldermann eine Art Leitung über
die Sippengenossen aus.
7. Stände: Volksversammlung: Rechtspflege. Die Deutschen
schieden sich in Freie und Nichtfreie. Vollfrei war jeder, der ein
eigenes Allod, d. h. eine Hofstatt, besaß. Die vornehmsten unter den
Freien waren die Edelinge (Adeligen); so hießen die Glieder gewisser
Geschlechter, welche durch ungewöhnliche Taten, sowie durch reichen
Besitz zu besonderem Ansehen gelangt waren. Unter den Unfreien
standen die Leibeigenen — meistens Kriegsgefangene oder deren Nach¬
kommen — am tiefsten. Sie mußten das Land bebauen, wurden aber
besser gehalten, als die Sklaven bei den Römern. Nur die freien
Männer durften Waffen führen und langes Haar tragen; nur sie
durfteu an der Volksversammlung teilnehmen, die zur Neumonds-
oder Vollmondszeit unter heiligen Bäumen stattfand. Dingstätte
hieß ein solcher Ort. Dort wurde das Volkswohl beraten, die Wehrhaft-
machung ber Jünglinge vorgenommen und Recht gesprochen. Von den
Verbrechen wurden Landesverrat, Feigheit und Unzucht mit dem Tode
bestraft, Mord dagegen mit Vieh, später mit Geld gesühnt. Gefängniffe
gab es nicht. Konnte bie Wahrheit nicht anders festgestellt werben, so
nahm man seine Zuflucht zum Gottesurteil, am liebsten znm Zwei¬
kampf, oft aber auch, besonbers bei Weibern uub Sklaven, zur Feuer-
ober Wasserprobe. Bei ber Feuerprobe mußte ber bes Verbrechens
Verdächtige ein glühenbes Eisen in bie Hand nehmen, über eine
glühenbe Pflugschar gehen ober einen Stein aus focheitbent Wasser
herausholen (Kesselprobe). Nahm er keinen Schaben, so war er nnschnlbig.
Der zur Wasserprobe Verurteilte würbe gebunden ins Wasser geworfen;
ging er unter, so war er nnschnlbig; sonst galt seine Schulb für erwiesen.
8. Könige. Gaugrafen, Herzöge; Gefolge. Ein gemeinsames Ober-
Haupt hatten bie Deutschen nicht. Die einzelnen Stämme stanben zum
Teil unter Königen, zum Teil auch nicht. Jeber Stamm bestanb aus
Gauen, an deren Spitze Gau grafen standen. Beschloß ein königlofer
Stamm den Volkskrieg, so hob man den Tapfersten jauchzend auf den
Schild und begrüßte ihn als Herzog. Dieser bot nun ben Heerbann
auf, b. H. er rief alle freien Männer zum Kampfe. Mit bent Kriege
enbete auch bes Herzogs Macht. Oft sammelte auch in Friebenszeiten
ein bewährter Führer kampflustige Jünglinge um sich, um mit ihnen auf
eigene Hanb einen Kriegs- uub Beutezug zu unternehmen. Eine solche frei¬
mütige Waffenbrüderschaft hieß Gefolge. Die Waffenbrüder hielten m Not
imb Tob fest zusammen; für eine Schanbe galt es, den Tob ober die
Gefangenschaft des Führers zu überleben.