107. Der Ausbau des Deutschen Reichs. 261
sache und erhielt durch die Reichsverfassung die Grundzüge seiner Ord¬
nung. Danach gilt die Post für das gesamte Gebiet des Deutschen
Reichs als einheitliche Verkehrsanstalt und wird als solche verwaltet.
Nur für Bayern und Württemberg gelten besondere Bestimmungen.
Ein einheitlicher niedriger Portosatz wurde eingeführt. Sehr
erleichtert wurde der Verkehr durch die schon 1869 eingeführte Post¬
karte. Eng verbunden mit dem Postwesen ist das Telegraphen¬
wesen, das ebenso wie auch das Fernsprechwesen Reichssache ist.
Zur Verwaltung des gesamten Postwesens wird das Reich in Ober¬
postdirektionen eingeteilt, unter denen die einzelnen Postanstalten stehen. —
Um den Postverkehr mit fremden Staaten zu erleichtern, wurde auf
Anregung des Generalpostmeisters Stephan 1874 zu Bern der Welt¬
postverein gegründet, zu dem jetzt fast sämtliche Länder der Erde
gehören. Innerhalb des Weltpostvereins werden alle Postsachen gegen
ein einheitliches Vereinsporto befördert.
Während so das Postwesen Reichssache ward, blieben die Eisen¬
bahnen den Einzelstaaten überlassen, welche die meisten in ihren Gebieten
liegenden Privatbahnen ankauften und verstaatlichten. Dem Reiche
gehören nur die Eisenbahnen Elsaß-Lothringens.
7. Deutsche Kolonien. Durch den aufblühenden Handel und
Gewerbefleiß sah sich Deutschland genötigt, neue Bezugsquellen der Roh¬
stoffe und neue Absatzgebiete für fertige Waren zu suchen. Schon längst
hatten einzelne deutsche Kaufleute in fremden Erdteilen Handels¬
niederlassungen gegründet. Da das Reich sich aber nicht um sie
kümmerte, waren sie den Feindseligkeiten der Wilden und neidischer
Großmächte schutzlos ausgesetzt. Daher erscholl aus dem deutschen Volke
die Forderung, die deutschen Handelsniederlassungen in den noch herren¬
losen fremden Ländern dadurch zu schützen, daß sie als deutsche
Kolonien erklärt würden. Das geschah auch. 1884 wurde Deutsch-
Südwestafrika, wo der Bremer Kaufmann Lüderitz große Besitzungen
erworben hatte, unter den Schutz des Reichs gestellt. In demselben
Jahre nahm der Afrikareisende Gustav Nachtigal als Reichskommissar
das Togo land unweit der alten verfallenen Kolonie des Großen Kur¬
fürsten und das Kamerun gebiet, wo der Hamburger Kaufmann
Woermann blühende Handelsniederlassungen besaß, für Deutschland in
Besitz, und im folgenden Jahre kam Dentsch-Ostafrika hinzu, das
der Afrikareisende Karl Peters durch Verträge mit Negerhäuptlingen
erworben hatte. Auch in Australien faßte das Reich durch die
Erwerbung des Bismarckarchipels, des Nordostens von Neuguinea
(Kaiser Wilhelmsland), eines Teils der Salomonsinseln und
der Marschallinseln Fuß. Damit war Deutschland in die Reihe der
Kolonialstaaten eingetreten. Zur Förderung des deutschen Handels mit
Ostasien, Australien und Afrika wurde eine regelmäßige Dampfer¬
verbindung mit diesen Ländern hergestellt, wozu das Reich eine
ansehnliche Unterstützung gewährte.
8* Die Arbeiterverficherimgsgesetze. Durch den gewaltigen
Aufschwung der Industrie war auch der (Itand der gewerblichen Arbeiter
sehr gewachsen. Seine wirtschaftliche Lage war aber bei alledem recht