Full text: Kaisers Bilder und Lebensbeschreibungen aus der Weltgeschichte

262 107. Der Ausbau des Deutschen Reichs. 
unsicher. Der reiche Verdienst kam allein den Unternehmern zu gute. 
Wurde der Arbeiter alt, krank und gebrechlich, konnte er entlassen werden 
und war dann, wenn er in Not geriet, auf die Unterstützung mildtätiger 
Menschen angewiesen. Diese Mißstände erzeugten in dem Ärbeiterstande 
eine steigende Erbitterung, die sich sogar gegen den allverehrten Kaiser 
richtete, so daß ruchlose Menschen zweimal einen Mordanschlag auf den 
achtzigjährigen Greis machten. Da entschloß sich der Kaiser, beraten 
von seinem Kanzler Bismarck, auf dem Wege der Gesetzgebung die Ver¬ 
hältnisse der Arbeiter zu bessern. Am 17. November 1881 richtete er 
an den Deutschen Reichstag eine kaiserliche Botschaft, in der es 
heißt: „Wir halten es für Unsere kaiserliche Pflicht, dem Reichstage die 
Aufgabe (Förderung des Wohles der Arbeiter) aufs neue ans Herz zu 
legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, 
mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, 
wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vater¬ 
lande neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den 
Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf 
den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. Für diese Fürsorge die rechten 
Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber auch eine der 
höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, das auf den sittlichen Fundamenten 
des christlichen Volkslebens ruht." 
Zuerst kam das Gesetz über die Krankenversicherung zustande 
(1883, verbessert 1903), welches den Arbeiter zwingt, sich für den 
Krankheitsfall zu versichern. Die Beiträge werden zu zwei Dritteln vom 
Arbeitnehmer, zu einem Drittel vom Arbeitgeber aufgebracht. In 
Krankheitsfällen erhalten die Arbeiter freie ärztliche Behandlung, freie 
Arznei und bei Erwerbsunfähigkeit vom dritten Tage nach der Erkrankung 
die Hälfte des ortsüblichen Tagelohnes. 
Darauf folgte (1884, verbessert 1900) das Unfallversicherungs¬ 
gesetz. Dieses sichert dem Arbeiter, der in seinem Berus während des 
Betriebes einen Unfall erleidet, eine Entschädigung zu; im Falle der 
Tötung werden Beerdigungskosten gezahlt und die Hinterbliebenen 
bekommen eine Rente. Die Kosten werden von den Arbeitgebern getragen. 
Das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz kam 
erst 1889, also schon unter der Regierung Kaiser Wilhelms II. zustande. 
Dieses Gesetz sichert allen Arbeitern, Gesellen, Dienstboten usw., wenn 
sie dauernd erwerbsunfähig werden, eine Invalidenrente, oder wenn sie 
ein Alter von 70 Jahren erreicht haben, eine Altersrente zu. Die Kosten 
der Versicherung werden zu gleichen Teilen von den Arbeitgebern und 
Arbeitnehmern getragen. 
Mit dieser Gesetzgebung hat das deutsche Volk ein Werk geschaffen, 
worin ihm kein Volk der Erde vorangegangen und bis jetzt keines 
nachgefolgt ist.
	        
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