Full text: Altertum und Mittelalter (1)

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Kirche oder an irgend einen Mächtigen zu übertragen, um es 
dann als Beneficinm gegen Leistung der Vasallenpflichten zu¬ 
rückzuempfangen. Nahm dadurch auch die Zahl der kleineren 
Freigutsbesitzer bedeutend ab, was den Herrschern keineswegs 
lieb sein konnte, so zogen doch die letzteren zunächst den Haupt¬ 
vorteil aus der von ihnen mit Vorbedacht ins Leben gerufenen 
Institution. Die Einrichtung des Lehnswesens wurde eins der 
wirksamsten Mittel in den Händen der Karolinger, die einhei¬ 
mischen Großen, die unter den schwachen Merovingern allzu 
viel Selbständigkeit erlangt hatten, dem Königtum wieder zu 
unterwerfen und dienstbar zu machen. Schon ihr eigenstes 
Interesse wußte ja die Vasallen an den Thron fesseln, da die 
Beneficien ursprünglich immer nur zur Nutznießung auf Lebens¬ 
zeit verliehen wurden und erbliche Übergänge erst später statt¬ 
fanden. Zu diesem persönlichen Interesse aber gesellte sich noch 
die Rücksicht auf das besondere Gelübde unverbrüchlicher Treue, 
über die sich niemals ein Germane so leicht hinwegsetzen konnte. 
Die Verfassung des fränkischen Reiches beruhte zunächst 
auf der alten Volksverfassung, auf dem Gefolgsweseu und auf 
den aus der Römerzeit überkommenen Einrichtungen, bis der 
sich mehr und mehr erweiternde Beneficial- und Vasallitäts- 
Verband die Hauptgrundlage derselben wurde. An der Spitze 
der staatlichen Gemeinschaft stand der König, der seine Würde 
als erbliches Vorrecht seines Geschlechtes besaß, doch mit der 
Beschränkung, daß dieselbe an die Anerkennung der Freien ge¬ 
knüpft war. Betrachtete man ihn anfangs mehr als einen 
König des Volkes denn des Landes, so trat er seit der Unter¬ 
werfung der Romanen in ein anderes Verhältnis, er wurde 
Beherrscher eines Reiches. Seine Stellung erhielt dadurch einen 
doppelten Charakter: während er den römischen Unterthanen als 
Nachfolger der Imperatoren mit dem Rang und Ehrennamen 
eines „Augustus" galt, sahen die Franken in ihm den Gefolgs- 
oder Kriegsherrn, die Beuefieiateu ihren Oberlehnsherrn. In 
beiderlei Hinsicht erfuhr mithin seine monarchische Gewalt eine 
wesentliche Steigerung, welche Karl der Große trefflich zu be¬ 
nutzen, wußte, um in dem äußeren Staatsorganismus eine ge¬ 
wisse Übereinstimmung und Gleichförmigkeit zu begründen. Vor 
allen Dingen beseitigte er die alten Stammherzöge und zerteilte 
ihre Gebiete in größere oder kleinere Bezirke, gewöhnlich „Gaue" 
genannt, über die er lebenslängliche Vorsteher mit dem Titel 
„Grafen" und „Markgrafen" setzte. Die letzteren hatten 
die Grenzdistrikte zu verwalten, deren Besitz noch nicht als 
völlig gesichert angesehen werden konnte, und erfreuten sich des¬ 
halb eines umfassenderen Wirkungskreises uud einer höheren, 
fast fürstlichen Stellung, wie denn auch ihre Würde nicht selten
	        
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