Religion der Germanen. 11 
Völkerschaften, die ihre eigentümlich ausgebildeten Vorstellungen von 
dem höchsten Wesen nicht aufgeben wollten. Die Zahl der Götter 
wurde noch dadurch vergrößert, daß die Beinamen derselben, welche 
ursprünglich nur einzelne Seiten und Eigenschaften einer Gottheit be¬ 
zeichneten, bald als Namen neuer, selbständiger Götter in Gebrauch 
kamen. Von der Allmacht und Geistibkeit des einigen Gottes hat am 
meisten Wodan oder Wuotan (nordisch Odhin) bewahrt, der König 
der Götter. 
Erhaben über die andern Asm thront dieser auf seinem Hochsitze, 
das Gesicht nach Süden gewandt, ein ehrfurchtgebietender Greis von 
hohem Wüchse. Der breite Wolkenhut ist tief auf die Stirn hinab¬ 
gedrückt, ein langer blauer Mantel mit goldenen Sternen wallt um 
seine Schultern; seine Rechte hält den nimmerfehlenden Speer. Zwei 
Raben, Hugin (Gedanke) und Munin (Erinnerung), sitzen aus seinen 
Schultern und flüstern ihm ins Ohr; denn jeden Tag fliegen sie aus 
und bringen ihm Kunde von den Vorgängen auf der Erde. Zu seinen 
Füßen liegen zwei Wölfe, ihnen wirft er das für ihn bestimmte Fleisch 
von dem' goldborstigen Eber vor; denn er selber bedarf ja nicht der 
Speise. Wodan hat nur ein Auge, die Sonne, mit dem er alles schaut; 
das andere, das von dem Wasserspiegel zurückgeworfene Sonnenbild, 
hatte er einst hingegeben, um dafür einen Trunk aus dem Born urwelt- 
licher Weisheit thun zu können. Seit dieser Zeit lag aber auch die 
Zukunft vor ihm aufgehellt, und er schaute in die älteste Vergangenheit. 
Er wurde der Erfinder der geheimnisvollen Runen, der Gott des Geistes, 
der Dichtkunst und aller Wissenschaft. Mitunter verläßt Wodan seinen 
Sitz. Als ein hülsloser Greis bittet er die Menschen um eine Gabe, 
als wegemüder Wanderer um Obdach und wird so der Stifter der 
Gastfreundschaft. Oder er jagt auf seinem weißen, achtsüßigen Rosse 
in Sturmessausen durch die Luft zur blutigen Schlacht. Denn feine 
Lieblinge unter den Menschen sind die mutigen Krieger. Er stürmt 
durch die wogende Feldschlacht, erfüllt die Streitenden mit Kampfesmut, 
leiht seinen Lieblingen seine Waffen, die nimmer fehlen, lehrt sie das 
Speerwerfen und besonders die von ihm erfundene Schlachtordnung. Die 
gefallenen Helden läßt er durch die Schlachtenjungfrauen, Walkvren, 
zu sich in seine himmlische Halle holen; die Überlebenden opfern ihm 
Rosse und gefangene Krieger. Unter den Tieren waren ihm Wolf und 
Rabe, unter den Pflanzen Esche und Hasel heilig; der Mittwoch war 
ihm geweiht. 
Die Alten schrieben die Erfindung der Buchstaben dem Merkur zu; daher 
erklärt es sich wohl, daß die Römer Wodan, den Erfinder der Runen, mit 
Merkur verglichen. Durch die Römer gelangte vor der Einführung des Christentums 
die siebentägige Woche des Morgenlandes nach Deutschland; die einzelnen Tage 
derselben waren der Reihe nach dem Saturn, der Sonne, dem Monde, dem 
Mars, dem Merkur, dem Jupiter und der Venus geweiht. Der erste Tag, 
unser Sonnabend, wird noch jetzt in Ostfriesland u. Holland Saterdag 
genannt. (Englisch salurday) Der dies Mercurii, unser Mittwoch, erhielt 
aus dem oben angegebenen Grunde den Namen Wodanstag, der sich in 
Holland in dem Namen Woensdag (engl. Wednesday) noch erhalten hat.
	        
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