Preußens Fall. 235
Die Vorschriften, durch welche englische Waren vom Festlande, so
weit Napoleons Macht reichte, sern gehalten werden sollten, wurden mit
immer rücksichtsloserer Strenge durchgeführt. Jedes Schiff, das heimlich
englische Waren einzuschmuggeln suchte, wurde weggenommen, die Waren
selbst, ohne Rücksicht auf den Eigentümer, verbrannt. In ihrem Über¬
eifer gingen die Beamten so weit, daß sie die Lager der großen Kauf¬
leute durchsuchten und alle vorgefundenen englischen Erzeugnisse, auch
solche aus der Zeit vor der Kontinentalsperre, vernichteten. Millionen
sind auf diese Weise nutzlos den Flammen übergeben. Um die Polen
für feine Fahne gegen Preußen und Rußland zu gewinnen, hielt Napoleon
ihnen „Vaterland und Freiheit" als Köder vor, obwohl er fest ent¬
schlossen war, ihnen das Versprochene nie zu gewähren. Dann ließ er
durch seine Generale die Marken und Pommern besetzen, die Rhein-
bündler mußten gegen Schlesien marschieren, er selbst ging nach Süd¬
preußen.
Während der König und seine Umgebung verzagten, behielt die Königin
allein Mut; auf sie war Napoleon auch am erbittertsten. In deutschen und
französischen Zeitungen, sowie in seinen Schlachtenberichten (Bulletins), entblödete
er sich nicht, die gemeinsten Verläumdungen über die reine und allbeliebte Königin
zu verbreiten. Ein gewisser Lange, ein Jude, der eigentlich Davidson hieß und
früher immer in seiner Zeitung auf Napoleon geschimpft, schrieb jetzt in franzö¬
sischem Solde und füllte sein Schandblatt mit Verhöhnungen des Unglücks und
mit Lästerungen des Königshauses. — Ein anderer Berliner verriet dem franzö¬
sischen Kommandanten einen großen königlichen Holzvorrat. „Laßt es liegen,"
antwortete der Franzose, „damit euer König übrig behalte, um euch Schurken
daran aufzuhängen!" Nur einer trat in Berlin kühn als Verteidiger seiner
Königin auf, das war der Konsistorialrat Erman, Prediger der französischen
Gemeinde. Er strafte Napoleon unter den Augen feiner stolzen Umgebung frei¬
mütig Lügen und hatte auf alle Beschuldigungen, welche Napoleon gegen Luise
aussprach, immer nur die eine Antwort: „Das ist nicht wahr, Sire."
Und Napoleon ließ den greisen Geistlichen unangefochten.
Die Stimmung des preußischen Hofes kennzeichnet folgende Äußerung:
„Leider habe ich Gelegenheit gehabt, zu vernehmen, daß alle die Personen, welche
in diesem Augenblicke auf die Entscheidung unseres Herrn Einfluß haben können,
sich sehr wenig vom Erfolge eines längeren Widerstandes versprechen, und daß
ohne irgend eine Ausnahme alle geneigt sind, dem Könige zu raten, sich allen,
selbst den härtesten Bedingungen Frankreichs zu unterwerfen!" Die schmähliche
Haltung, welche viele dem unglücklichen Königshause gegenüber einnahmen, stellt
ein Zeitgenosse in folgender Weise dar: „Die alte Fabel, in welcher nach dem
kranken Löwen selbst ein Esel schlägt, erneuerte sich in mancherlei Formen und
Farben, selbst in persiflierenden Kupferstichen, und man bekundete damit die gemeine
flache Denkart und Gesinnung, die den Wert der Menschen und Sachen nur
nach dem jedesmaligen sichtbaren Erfolg würdigt. — Das Ideal aller Herrscher¬
größe für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft war ihnen der alles besiegende
Kaiser Napoleon, und sie gefielen sich darin, in demselbigen Grade, als sie ihn
erhöhten, den gedemütigten Kaiser von Östreich und den König von Preußen
herabzusetzen. Wie von der Tarantel gestochen, bewegten sich selbst kenntnisreiche
unb grünbliche Geschichtskenner in solchem Gaukeltanze. — Überreichte boch eine