Karl V. den deutschen Kaiserthron bestiegen hatte, berief er einen Reichs¬
tag nach Worms, um die in Verwirrung geratenen Reichsangelegenheiten
zu ordnen^ Auf diesem Reichstage sollte nun auch der entbrannte
Kirchenstreit geschlichtet werden. Der päpstliche Gesandte suchte den neuen
Kaiser zu überreden, Luther, weil er schon vom römischen Stuhle
gerichtet sei, mrgehört zu bestrafen; aber der Kurfürst von Sachsen setzte
es durch, daß der Kaiser nicht darauf einging. Da sich auch auf Fried¬
richs Antrag die Reichsstände in 105 Artikeln über den römischen Stuhl
beschwerten, daß der Papst die Rechte Deutschlands mißachte, geistliche
Ämter um hohen Preis verkaufe, sich die Vergebung der Sünden bezahlen
lasse und dadurch arme Einfältige verführe und ihrer Barschaft bethöre,
so sah der Kaiser ein, daß er den Kirchenstreit nicht leicht nehmen dürfe'
Deshalb sandte er den Reichsherold nach Wittenberg, damit derselbe die
kaiserliche Vorladung überreiche und Luther gen Worms und wieder heim
geleite.! In der Vorladung stand unter anderm: Nachdem wir uns ent¬
schlossen haben, deiner Lehre und deiner Bücher halber Erkundigung zu
empfahen, haben wir dir freies Geleit versprochen. Binnen 21 Tagen
sollst du erscheinen und dich keines Gewalts noch Unrechts besorgen, da
wir dich bei dem gemeldeten freien Geleit festiglich handhaben wollen.Q
o. Luthers Reise nach Worms. Schon vorher war Luther fest
entschlossen, sich dem Reichstage zu stellen, sobald er gerufen werde; er
schrieb an einen Freund: „Wenn ich gerufen werde, so will ich krank
hinfahren, wenn ich nicht gesnnd kommen kann; denn ich darf nicht
zweifeln, daß mich der Herr ruft, wenn der Kaiser es thut. Wenn sie
Gewalt brauchen, wie es wahrscheinlich ist, so müssen wir die Sache
dem Herrn befehlen." _ So blieb Luther auch keinen Augenblick im
Zweifel, als er den kaiserlichen Vorladungsbrief erhalten hatte. Seinen
besorgten und bekümmerten Freunden, die ihn wohlmeinend warnten,
erwiderte er getrosten Mutes: „Ist auch Hus zn Asche geworden, so ist
doch die Wahrheit nicht verbrannt." So trat er Anfang April 1521
mit feinen Begleitern die Reise zu Wagen an, obwohl er schwach und
' kränklich warA Seine Reise glich einem Siegeseinzuge,^ „Wo er in eine
Stadt einzog, lief ihm das ganze Volk entgegen vor die Stadt und
.wollte den Wundermann sehen, der so kühn wäre und sich wider den
Papst und alle Welt legen durfte." Als ihm etliche sagten, er fahre nach
Worms zum Scheiterhaufen, antwortete er ihnen voll froher Zuversicht:
„Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und
Worms bis an den Himmel reichte, so will ich doch im Namen des
Herrn erscheinen und Christum bekennen und walten lassen." Als er
sich Worms näberte, boten seine Widersacher in Worms alles auf, ihn
uugehört verdammen zu lassen. Sie sagten öffentlich, man dürfte einem
Ketzer das Geleite nicht halten. Aber der Kurfürst von Sachsen und
der Pfalzgraf am Rhein wollten als redliche Deutsche ihre Handschrift
und Siegel nicht brechen lassen und drangen darauf, daß man Luther