124 Die deutsche Weltmacht.
vollständig wurde, als plötzlich die goldene Kaiserstandarte an ihm aufging,
und brausendes, immer näher kommendes Hurrarufen die Ankunft des
Herrschers verkündete. Auf der Tribüne Purpurgrund lichte Gewandung
der Damen, und seitwärts, auf den Flügeln des Schaugerüstes, die Studen¬
tenschaft mit ihren bunten, seidenen Fahnen und im großem Wichs, ein
schönes farbenfrisches Bild. Unten, um den Grundstein im Viereck geschart,
das offen blieb gegen den Bug des Schiffes zu, eine verwirrende Fülle
von Uniformen aller Art; ein Blitzen von Gold- und Silbertressen, von
Ordenssternen und Helmbeschlägen, ein Leuchten von Generalsstreifen uird
Ordensbändern; hier der Federhut des Ministers, dort die Schapka des
Ulanenobersten; hüben der blaue Dolman des Husarenoffiziers, drüben
der schwarze Talar des Geistlichen und dicht daneben der rote Frack
der Ritterschaft: Glänzende Farben, glänzende Namen überall. — —
Und nun kommt oer große Augenblick: Jetzt geht die Kaiserstandarte aus,
und nun erscheint Durch den Gang, der an der rechten Seite des Schiffs¬
pavillons entlang führt, die Gestalt des alten Kaisers, des teuren, unver¬
geßlichen Herrn, mild, ehrwürdig, nicht ganz aufrecht mehr, aber «uch
nicht zusammengesunken, langsam, aber festen Schrittes und ungestützt:
so steht er da den federumwallten Helm auf dem edlen, greisen Haupte,
steht die ganze Feier über aufrecht, in großer Generalsuniform, der älteste,
beste Soldat der Armee, der König, der über die Schlachtfelder von König-
grätz, Gravelotte und Sedan geritten, der in Paris eingezogen, der Deutsch¬
land geeinigt, den jetzt unendlicher, herzlicher Jubel grüßt, der alle Musik-
fanfaren übertönt: „Es lebe der Kaiser!"
3. Es war ein -guter, herzerfreuender Anblick, Den Neunzigjährigen
so zu schauen, wie er, die Spitze und Blüte des Reiches, dastand unter
seinen Getreuen, den Trägern so eDler Namen, den Besten aus dem
Volk, die fast all: ohne Ausnahme redlich mitgearbeitet an dem großen
Werk seines Lebens, der WieDeraufrichtuug Deutschlands.
Der Sängerchor von zweihundert Sängern und Sängerinnen hub an;
und als sie verstummt waren, da neigte sich Herr von Bötticher tief vor
dein kaiserlichen Herrn um die Erlaubnis bittend, die Urkunde verlesen
zu dürfen, betreffend die Inangriffnahme der Kanalarbeiten, von der eine
Abschrift in den Stein gelegt werden sollte, gleichzeitig mit je einem
Exemplar der Gesetze, in Denen die Bewilligung der Mittel ausgesprochen
war, jener hundert unD sechs und fünfzig Millionen, von denen Preußen
auf eigene Rechnung fünfzig Millionen vorweg zahlt, weil der Kanal
durch preußisches Gebiet geht, ferner einer Vorgeschichte des Kanals
nnd einem vollständigen Satz aller zur Zeit gültigen Reichsmünzen. —
4. Nachdem Der Minister geschlossen, trat der Kaiser vor, langsam
und sicher bis Dicht an den Grundstein vorschreitend. Der bayerische,
stimmführende Bevollmächtigte zum Bundesrat überreichte dem Reichs¬
oberhaupt die Maurerkelle: „Dieselbe Hand, welche die Fürsten und Völker
Deutschlands zu ewigem Bunde geeinigt, soll den ersten Stein legen zu
dem Bau, der die deutschen Meere verbindet!"
5. Majestät nahm aus zierlicher Mulde dreimal Mörtel mit der Kelle
und warf ihn auf Die Fugen Der mittlerweile aufgefetzten Verschlußplatte.
Da trat schon der Präsident des Reichstages vor und überreichte den
Hammer unter kurzem Wort; der Kaiser nahm ihn, entblößte sein ehr¬
würdig Haupt unD tat drei klingende Schläge mit dem laut von seinen