Full text: Handbuch für den deutschen Unterricht in den oberen Klassen der Gymnasien (Theil 2)

Abriß der Literaturgeschichte. 
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B. Besonderer Theil. 
(Zu dieser Uebersicht der vorzüglichsten Werke und 
Schriftsteller geben die biographischen Bemerkungen in¬ 
nerhalb deS Lesebuchs die nöthigen Ergänzungen.) 
Erste Periode. 
8- 10. 
Tacitus berichtet von den Deutschen: 1) 
daß sie in alten Liedern, worin allein ihre 
Geschichte und Ueberlieferung bestände, den 
Gott Tuisco und dessen Sohn Mann als 
ihre Stanimväter besungen; 2) daß sie Schlacht¬ 
gesänge gehabt (also nicht ein bloßes Hurrah); 
3) daß Hermann, ihr Befreier, in Liedern 
bei ihnen fortlebe (also gleichzeitig historische 
Veranlassung). Das zeigt in seinen Folge¬ 
rungen einen Reichthum von dichterischem 
Leben bei den alten Deutschen. 
Bei den Westgothen übersetzte ihr Bischof 
Ulphilas um 360—380 die Bibel; er soll 
zugleich die gothischen Buchstaben erfunden 
haben. Die älteste Handschrift (codex ar¬ 
genteos, silberne Buchstaben auf purpurnem 
Pergament) ivurde rm 16. Jahrhundert zu 
Werden inWestphalen entdeckt und im dreißig¬ 
jährigen Kriege nach Upsula gebracht; sie ent¬ 
hält die vier Evangelien; die Ambrosianischen 
Palimpseste*), 1817 zu Mailand von A. Mas 
entdeckt, enthalten die Briefe des heiligen 
Paulus und einige Bruchstücke des alten 
Testamentes, nebst einer Homilie über das 
Evangelium Johannis. 
Die eigentliche Literatur der Deutschen be¬ 
ginnt mit der Einführung des Chrjstenthums. 
Die hauptsächlichsten Denkmale aus der ersten 
Periode sind: 
A, Aus der Zeit von 725 — 925. 
I. Poetisches. 
1. Das Hildebrandslied, Bruchstück 
aus dem 8. Jahrhundert, das einzige Gedicht 
aus der Nationalsage; die Sprache Nieder¬ 
deutsch, mit Alliteration oder Stabreim (S. 7). 
2. Uebersetzungvon Lateinischen Kirchen- 
Hymnen, z. B. vom De veum (S. 6); 
nicht metrisch, sondern interlinearisch. 
, 3. Das Wessobrunn er Gebet (Lied), 
aus dem 8. Jahrhundert mit Stabreimen 
(Kloster Weißenbrunn bei Dießen in Baiern, 
unter Bonifacius von Herzog Thassilo II. ge¬ 
baut; dort fand man die Handschrift) (S. 9). 
4. Muspilli, BruchstückvomWeltgericht 
aus dem 9. Jahrhundert, in Stabreimen. 
Der Name ist hergenommen von einem Worte, 
das darin vorkommt und den Weltbrand be¬ 
zeichnet (S. 9). 
*) Palimpseste sind solche Handschriften, wo uni 
löschte befindet, die man künstlich wiederherzustellen weiß 
5. Der Heliand (Heiland) oder die Alt¬ 
sächsische (niederdeutsche) Eoangelienharmonie, 
d. i. Leben Jesu nach den vier Evangelisten; 
mit Stabreim; soll im Auftrage Ludwigs 
des Frommen von einem sächsischen Bauer 
(d. h. nicht Edelmann oder Geistlicher) ver¬ 
faßt worden sein (S. 11). 
6. Krist, oder die Fränkische (oberdeutsche) 
Evangelienharmonie von dem Mönch Otfried 
von Weißenburg im Elsaß, Schüler des Rha¬ 
banus Maurus, um 870; das älteste Ge¬ 
dicht mit Endreimen (S. 12), die von hier¬ 
an herrschend werden; auch dem Versbau 
mit vier Hebungen und der althochdeutschen 
Schriftsprache gab er eine feste Haltung. 
7. Lied auf den h. Petrus; Reim; 3 
Strophen mit Kyrie eleison (also Kirchenliev 
S. 13). 
8. Das Ludwigslied; auf den Sieg 
des Fränkischen Königs Ludwig III. über 
die Normannen bei Saucours 881 (S. 13). 
II. Prosaisches. 
Prosaisches aus dieser Zeit gibt es wenig. 
Es beschränkt sich zunächst auf Uebersetzung, 
z. B. einer Ermahnung ans christliche Volk 
(S. 5); eines Tractats von Isidor de nati- 
vitate Christi: Kero's Benedictinerregel; eine 
Auslegung des Vater unser (S. 4) aus dem 
8. Jahrhundert. Dann aus dem 9. Jahr¬ 
hundert besonders die Uebersetzung von Ta 
tian's Evangelienharmonie. 
II. Aus der Zeit von 925—1125. 
I. Poetisches. 
Die Deutsche Dichtung trat unter den ge¬ 
lehrten Ottonen zurück. Die Nonne Hros- 
witha schrieb Lateinische Dramen; Eckehard 
(ch 973 als Mönch zu St. Gallen) schrieb 
als Jüngling aus der Deutschen National 
sage: Waltbarius manu sortis, in Lateinischen 
Hexametern. Im Volke aber lebten wohl 
die alten Sagen in Liedern fort. 
II. Prosaisches. 
Die hauptsächlichsten Ueberbleibsel sind 
Uebersetzungen von Notker Labeo, Mönch 
zu St. Gallen (si 1022), z. B. eine Psalmen¬ 
übersetzung; Boethius'Trostbüchlein; Aristo 
teles' Organon. Ferner eine Erklärung des 
Hohen Liedes von Williram, Abt zu Ebers¬ 
berg in Baiern (si 1085). Dann ein pdz- 
siologus oder zwei Abhandlungen über die 
Natur der Thiere aus dem 11. Jahrhundert. 
Außerdem noch verschiedene Bruchstücke, be¬ 
sonders von Predigten. 
w der vorfindlichen Schrifi sich eint andere, früher ge- 
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