Full text: Charakterbilder aus der Geschichte der christlichen Reiche (Band 2)

Die Drüsenpest. Erdbeben. Reste des alten Heidentums. Der Nikaaufstand. 35 
in welchem er dem durch diese Greuel verdienten Zorn Gottes die Pest zuschrieb, welche 
damals das Reich verheerte. Es war die sogen, orientalische oder Drüsenpest, welche 
50 Jahre hindurch nach und nach den größten Teil der damals bekannten Welt heimsuchte. 
Sie trat zuerst in Äthiopien auf, verbreitete sich von da weiter und weiter und entvölkerte 
ganze Provinzen. Im Jahre 542 zeigte sie sich an den Nilmündungen, durchzog ostwärts 
Syrien, Persien, Indien, Kleinasien und setzte sich in Konstantinopel fest. Gegen Westen 
verheerte sie die Nordküste Afrikas, Spanien, Frankreich, England, Italien. Die Augen 
füllten sich mit Blut, das Gesicht schwoll an, das Übel ergriff die Kehle und erstickte sein 
Opfer. Bei andern traten Pestbeulen mit hitzigen Fiebern auf. Diese Beulen bildeten sich 
besonders an den Schenkeln, an den Schultern, hinter den Ohren. Fingen sie an zu eitern, 
so genasen die Kranken, blieben sie hart, war es ein unfehlbares Zeichen des Todes. 
Andere verloren den Verstand: sie glaubten Phantome zu sehen, die sie verfolgten und schlugen; 
von diesen Einbildungen getrieben, verrammelten sie sich in ihren Häusern oder stürzten sich 
ins Meer. Manche wurden von unüberwindlicher Schlafsucht befallen. Man sah Menschen 
ohne irgend ein Anzeichen von Krankheit auf den öffentlichen Plätzen und in den Straßen 
plötzlich tot hinsinken. 
So vollendete die Pest, was Erdbeben begonnen hatten. 528 sank Antiochia in 
Trümmer; fast 5000 Menschen fanden den Tod, die übrigen retteten sich auf die nahe¬ 
gelegenen Inseln und in die Berge. Laodieea und Seleukia hatten dasselbe Schicksal; sie 
wurden zur Hälfte zerstört. Aber die katholischen Kirchen blieben stehen. 7500 Menschen 
kamen um. Diese Nachrichten verbreiteten Schrecken in Konstantinopel; man hielt öffentliche 
Gebete und der Kaiser schickte große Summen zum Wiederaufbau der Städte und erließ 
auch drei Jahre die Abgaben. 
Vom alten Heidentum waren noch manche Reste übrig geblieben. In Phylä bei 
Elephantine wurden sogar Menschenopfer gebracht. Die enge Verbindung zwischen geistlicher 
und weltlicher Gewalt in der Hand Justinians mußte und wollte auch diesem ein Ende 
machen. Die Schule in Athen, welche als eine Universität des hellenistischen Heidentums 
bezeichnet werden konnte, war mit der Herrschaft des Christentums unvereinbar. Gab es 
doch noch im 6. Jahrhundert in Konstantinopel hohe Beamte, welche hellenische Gesinnungen 
hegten und zu dem hellenischen Heidentum zurückstrebten. Daher hob Justinian die Ver¬ 
mächtnisse an örtlichfeiten oder Personen, welche für die Erhaltung des hellenischen Heiden¬ 
tums bestimmt waren, auf und sprach sie den lokalen Magistraten zu, so daß die Güter der 
Akademie an die Stadt fielen, und er verbot durch ein förmliches Edikt, daß in Athen Recht 
oder Philosophie gelehrt werde. 
3. Während aber Justinion den christlichen und juridischen Anschauungen Gesetzeskraft 
gab, fühlte er doch jeden Augenblick den Boden unter seinen Füßen wanken. Im Jahre 532 
brach der Ausstand gegen ihn aus, der unter dem Namen Nika bekannt ist, ein Wort, 
welches den Wagenlenkern beim Wettrennen zugerufen zu werden pflegte; denn eben aus 
dem Zirkus gingen die Unruhen hervor. In dem Zirkns nämlich hatte sich, wie früher in 
Rom, so jetzt in Konstantinopel noch immer ein Überbleibsel der alten plebeischen Vorrechte 
erhalten. Der Zirkus diente Dazu, den Kaiser mit dem Volke in unmittelbaren Kontakt zu 
bringen. Hier hatten sich Faktionen gebildet; sie unterschieden sich durch ihre Farben, grün 
und blau, welche gleichsam die Farbe der Fahnen waren, unter denen die Korporationen, 
welche die Kosten für die Wettrennen aufbrachten, und die Bevölkerung nicht allein in Kon¬ 
stantinopel, sondern auch in den andern Hauptstädten des Reiches sich gegenübertraten und 
bann auch politische Rechte ausübten; denn Gegensätze dieser Art in einer ober ber anbern 
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