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VI. Die Befreiungskriege.
21. Die Machthöhe und der Niedergang der Fremdherrschaft.
1. Die Machthöhe des französischen Kaisrrtnms.
Ums Jahr 1810 stand der Franzosenkaiser auf der Höhe seiner Macht.
Er hatte das Reich Karls des Großen wiederhergestellt und wirtschaftlich ge¬
einigt. Nur in Spanien und Portugal war er nicht Herr des Landes.
Der Volksaufstand dauerte ungeschwächt fort und wurde von einem englischen
Heer unter dem berühmten Feldmarschall Lord Wellington unterstützt.
Der kaiserliche Hof zu Paris war der glänzendste in Europa. Napoleon
erhöhte den Glanz noch dadurch, daß er seine Marschälle und Staatswürden-
träger zu Herzogen und Fürsten machte. Um auch mit den alten Fürsten¬
geschlechtern in Verwandtschaft zu treten, verheiratete er seine Verwandten
mit deutschen und italienischen Prinzen und Prinzessinnen. Endlich tat er
selbst den Schritt, der ihn in eine Reihe mit den alten Kaiserhäusern stellen
sollte. Er ließ sich von seiner Gemahlin Josephine scheiden, weil sie kinderlos war,
und vermählte sich mit der Tochter des Kaisers Franz von Österreich, Marie
Luise. Schon im folgenden Jahre wurde dem Kaiser der ersehnte Sohn
geboren, den er Napoleon hieß und noch in der Wiege zum „König von
Rom" ernannte.
Das Volk, namentlich das deutsche, fürchtete oder haßte den Kaiser.
Denn durch die Festlandssperre lähmte er Handel und Wandel, und Jahr für
Jahr hob er Tausende junger Leute aus und führte sie auf die Schlachtfelder.
Dazu kam die Erbitterung über das geheime Polizeiwesen, das Überwachen und
Spionieren. Kein Paket, kein Brief war sicher, nicht erbrochen zu werden.
Buchhändler und Zeitungsschreiber durften nur bringen, was den Kaiser ver¬
herrlichte oder ihm sonst genehm war. Auch das Gerichtswesen stand ganz
unter seinem Einflüsse; Personen, die seine Gegner waren, konnten kein Recht
finden. Allenthalben seufzte man unter der Zwangherrschaft.
n. Der Feldzng gegen Rußland.
Man hätte glauben sollen, es sei Napoleon genug gewesen, ganz West-und
Mitteleuropa zu beherrschen. Aber sein Ehrgeiz trieb ihn weiter. Er ge¬
duckte die Welt zu erobern. Er wollte das Riesenwerk unternehmen, das
russische Reich zu unterwerfen. Zu Erfurt hatte er allerdings mit Alexander
die Welt geteilt; aber es war vorauszusehen, daß trotzdem früher oder später
die beiden Reichskolosse aneinander geraten mußten.
Alexander von Rußland hatte sich verpflichtet, die Festlandssperre auf¬
recht zu halten; aber er konnte sein Versprechen nicht erfüllen. Sein Land
wäre darüber zu Grunde gegangen. Da nahm Napoleon im Zorne dem
Verwandten des Kaisers, dem Herzoge von Oldenburg, sein Land weg. Nun
brach der Krieg aus. Von seinen besiegten früheren Gegnern heischte
Napoleon Unterstützung. Österreich machte mobil; Preußen brauchte nur
Sptelmann, Schiilerhest Hl. 5