Full text: [Teil 4, [Schülerband]] (Teil 4, [Schülerband])

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lichkeit vollziehen sie die Anordnungen des Arztes. Die Barmherzige 
Schwester lebt ausschließlich ihrem Berufe. Außer ihren religiösen Ge¬ 
fühlen und Pflichten kennt sie keine anderen Interessen und Obliegen¬ 
heiten als die, welche dieser mit sich führt. Die Krankenpflege ist ihr 
heilig als ein Gebot der Religion, und sie kennt und fordert keinen 
andern Lohn als den, welchen die Religion ihr verheißt. Ihrer Ge- 
nosienschaft mag der Begüterte, in dessen Hanse sie die Krankenpflege 
geübt hat, dankbar eine Gabe zuwenden, sie selbst begehrt solche nicht 
und darf sie auch nicht annehmen. Nur der Kranke als solcher ist 
Gegenstand ihrer Bemühungen und ihrer Teilnahme; weitere persönliche 
Beziehungen zu ihm und seinem Hause sind ausgeschlossen. Meistens 
verbleibt in längeren Krankheitsfällen eine und dieselbe Schwester nur 
eine beschränkte Zeit bei dem Kranken; sie wird oft urplötzlich durch 
eine Mitgenossin ersetzt. In das Haus des Genesenen kommt sie nicht 
wieder; nur der Kranke gehört ihr an, und keinen Augenblick darf sie 
sich anderer Verhältnisse wegen der Krankenpflege entziehen. So wird 
unentwegt, mit aller Bestimmtheit, Ausschließlichkeit und Unbeugsamkeit 
die eine Pflicht und Lebensaufgabe festgehalten und erfüllt. Diesen treuen 
und sich selbstverleugncnden Ausüberinnen christlicher Barmherzigkeit ist 
das Wort des Herrn in ganz besonderem Maße ein trostreiches und 
stärkendes: Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit 
empfangen. 
Der Stifter der Barmherzigen Schwestern widmete sein Leben bis 
zum letzten Tage den mannigfaltigsten Werken der Barmherzigkeit. 
Es ist nicht möglich, alle die verschiedenen Zweige ins Auge zu fassen, 
in welche seine unermüdliche Liebesthätigkeit sich teilte. In allen diesen 
Arbeiten wurde er immer reifer und milder in der Nachfolge Christi. 
„Lieu L6 me plaît qu’en Jésus-Christ“, pflegte er zu sagen. Zu ver¬ 
wundern ist, wie sein schwächlicher Körper so lange die vielen An¬ 
strengungen ertrug. Eine beschwerliche Winterreise, die er in seinem 
i4. Jahre machte, erschütterte jedoch seine Gesmldheit so, daß die nun 
nachfolgenden elf Lebensjahre fast ein beständiges Siechtum waren. 
Dennoch klagte er nie, sondern lenkte das Gespräch sofort auf einen 
andern Gegenstand, wenn es sich aus seinen eigenen Körperzustand richtete. 
Im Herbste des Jahres 1660 entschlief er. — Siebenzig Jahre nach 
seinen: Tode hat die Kirche ihn heilig gesprochen. 
Das Werk Bincenz de Paulas hat eine großartige Ausdehnung 
gewonnen. Die Zahl der Glieder der besonderen, unmittelbar von ihm 
gestifteten Genossenschaft wird gegenwärtig auf 28 000 geschätzt; die An¬ 
zahl aller Barmherzigen Schwestern mag leicht das Doppelte betragen. 
Man trifft sie in den verschiedensten Ländern der alten und der neuen 
Welt; die Barmherzige Schwester wacht am Krankenlager des armen 
Hindu am Ganges und erleichtert dem sterbenden Neger Brasiliens den 
letzten Kampf. 
Durch das Vorbild der Barmherzig m Schwestern angeregt, schuf 
1,11 Jahre 1836 der Pfarrer Fliedner in Kaiserswerth die Gemeinschaft 
der evangelischen Diakonissen, welche gleiche Zwecke verfolgt und deren 
Einrichtungen ini ganzen ähnlich sind, jedoch gemäß dem freieren Geiste
	        
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