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werden sollte. Auf drei Missionsreisen trug er das Evangelium hinaus in
die Heidenwelt und stiftete in Kleinasien, Macedonien und Griechenland zahl¬
reiche Christengemeinden. Nachdem er auch in Rom, der Hauptstadt der
Welt, das Evangelium verkündigt hatte, fand er dort unter dem grausamen
Nero, wie viele der Gläubigen, den Märtyrertod.
Wie Paulus, so wirkten auch die anderen Jünger, besonders
Petrus, Jacobus und Johannes, für die Ausbreitung des gött¬
lichen Wortes. Jacobus der Jüngere blieb in Jerusalem als Vor¬
steher der Gemeinde und wurde von den Juden von der Zinne des Tem¬
pels herabgestürzt und gesteinigt. Petrus predigte, nachdem er, wie schon
erwähnt, eine Zeit lang an der Spitze der Gemeinde zu Jerusalem gewirkt
hatte, das Evangelium in Syrien und Kleinasien und soll, wie Paulus,
in Rom zur Zeit Nero's gekreuzigt worden sein. Johannes, der Lieb¬
lingsjünger des Herrn, ging noch vor der Zerstörung Jerusalems nach
Ephesus, schrieb dort sein Evangelium und seine Briefe und leitete die in
der Gegend von Ephesus befindlichen Christengemeinden. Er starb, nach¬
dem er vorher einige Zeit als Verbannter auf der Insel Patmos gelebt,
zu Ephesus in einem Alter von 90 Jahren. Ueber die anderen Jünger,
die meist auch das Christenthum in fernen Ländern verkündigten, erzählt
uns die Geschichte nichts Gewisses.
Der Same, welchen die Jünger ausgestreuet hatten, brachte jedoch
bald hundertfältige Frucht. Ju nicht gar langer Zeit gab es christliche
Gemeinden in allen Provinzen des großen römischen Reiches.
Wie die erste Gemeinde ein Herz und eine Seele war, so sah man
auch in den neuerstandenen Gemeinden das Walten des göttlichen Geistes.
Der Glaube an den Gottmenschen und die Liebe zu Gott und zu dem
Nächsten waren die Vereinigungsmittel der Gläubigen. Wie auf die Ge¬
meinde, so hatte die Lehre Jesu auch aus das Familienleben heiligenden
Einfluß. Hier war die Mutter der Ruhm der Kinder, die grau der Ruhm
des Mannes, beide der Ruhm der Frau, Gott der Ruhm Aller insgesammt.
In der Familie lernten die Kinder Gottesfurcht, Liebe zum Herrn, Festig¬
keit im Glauben, Redlichkeit, Treue, Keuschheit; das Vorbild der Eltern,
so wie das der Märtyrer pflanzte diese Tugenden tief in ihre Herzen ein,
und selbst die christlichen Diener und Dienerinnen wurden die Lehrer der
Kinder des Hauses. Den größten Einfluß übte jedoch die Mutter auf die
Erziehung der Kinder. Die Mutterliebe war die erste Frucht der christ¬
lichen Saat. So tief, so innig und zart ist nie die Mutterliebe gewesen,
wie sie es wurde durchs Christenthum.
Echte Nachfolger Jesu hat es auch in allen späteren Zeiten gegeben; aber
in dem Maße, als es in der ersten christlichen Zeit der Fall war, sind nie
wieder ganze Gemeinden von dem Geiste des Heilands durchdrungen gewesen.
Weltliches lockte noch nicht zum Eintritt in die Gemeinschaften, nur
die kamen, die innerlich berufen waren, die Hunger, und Durst hatten
nach dem Brot und Wein des Wahrheitslebens. Die Kinder dieser Welt
hielten sich fern von Gemeinschaften, die Schätze nicht boten, die Ehrgeiz *
und Eitelkeit nicht befriedigten, weil, entsprechend des Meisters Worten, im
Dienen der Brüder die einzige Auszeichnung gefunden ward. Aber bald
sollten die still dahin lebenden Gemeinden von schweren Anfechtungen heim-
Dietlein, Bilder aus der Weltgeschichte. 10