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von den Ständen die Erbhuldigung entgegengenommen hatten. Nach
Einrichtung der Verfassung im Staate hielt König Wilhelm es für
passend, die Krönung zu erneuern. Öffentlich wollte er Zeugnis ab¬
legen, daß er seine Krone allein von Gott zu Lehen trage?) Mit
dem herrlichen Krönungsmantel bekleidet, bestieg er die Stufen des
Altars, ergriff die königliche Krone nnd setzte sie sich aufs 5)aupt.
Dauu nahm er auch die anderen Zeichen seiner königlichen Macht,
Zepter, Reichsapfel und Reichsschwert, und hob sie empor. Nach der
feierlichen Handlung empfing er im Thronsaale die Beglückwünschuugeu
der Vertreter des ganzen Volkes, an die er folgende Ansprache richtete:
„Von Gottes Gnaden tragen Preußens Könige seit 160 Jahren die
Krone. Nachdem der Thron durch zeitgemäße Einrichtungen umgeben
ist, besteige ich als König denselben. Aber eingedenk, daß die Krone
nur von Gott kommt, habe ich durch die Krönung an geheiligter Stätte
bekundet, daß ich sie in Demnt ans seinen Händen empfangen habe.
Die Gebete meines Volkes, ich weiß es, haben mich bei diesem feier¬
lichen Akt umgeben, damit der Segen des Allmächtigen auf meiner
Regierung ruhe. — Gottes Vorsehung wolle die Segnungen des
Friedens dem teuren Vaterlande lange erhalten. Vor änßeren Ge¬
fahren wird mein tapferes Heer dasselbe schützen. Vor inneren Ge¬
fahren wird Prenßen bewahrt bleiben; denn der Thron seiner Könige
steht fest in seiner Macht und in seinen Rechten, wenn die Einheit
zwischen König nnd Volk, die Prenßen groß gemacht, bestehen bleibt.
So werden wir ans dem Wege beschworener Rechte den Gefahren einer-
bewegten Zeit, allen drohenden Stürmen widerstehen können. Das
walte Gott!" Umtost von brausendem Jnbel der Bevölkerung kehrte
König Wilhelm I. in seine Hanptstadt Berlin znrück. Zum Andenken
im die Krönung erfolgte die Stiftung des Kronenordens.
Neueinrichtung des Heeres. Schon als Prinz war Wilhelm I.
mit Leib nnd Seele Soldat und beschäftigte sich besonders mit der
Ausbildung des Heeres. Sein scharfer Blick erkannte, daß die Stärke
und Schlagfertigkeit desselben nicht mehr ausreiche zum Schutze des
Landes. In dem Feldzuge zur Dämpfung des badischen Aufstandes
hatte er hinreichend Gelegenheit gehabt. Mängel im Heere kennen zn
lernen. Die allgemeine Wehrpflicht stand nur mehr auf dem Papiere;
denn mit der Zunahme der Bevölkerung hatte die Mehrung des Heeres
nicht gleichen Schritt gehalten. Bei den Mobilmachungen mußte stets
sofort ein großer Teil der Landwehr aufgeboten werden, die nach ihrer
Bestimmung eigentlich in erster Linie zur Besetzung der Festungen
dienen sollte. Auch die hohe Ausgabe. Deutschland unter Preußens
Führung zu einigen, konnte nur durch ein starkes Heer erreicht werden.
Aber bei den Abgeordneten des Volkes fand er nicht das rechte Ver¬
ständnis für seine Forderungen: sie scheuten die Kosten der Neugestal¬
tung des Heeres. Trotz aller Schwierigkeiten setzte der König, unter-
') Diese hohe Auffassung des königlichen Berufes wurde in seinem Herzen
recht lebendig erweckt, als im Sommer dieses Jahres in Baden-Baden eufükr-
spannter politischer Schwärmer (Becker, Student der Rechte auf der Leipziger
Universität) einen Mordversuch auf ihn machte, und Gottes Vorsehung augen¬
scheinlich schützend über sein Leben waltete.