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will keusches und reines Leben, festen und stolzen Sinn, kühnen und feurigen
Mut und christliche Milde und Demut. Viele werfen der Zeit vor, es sei
eine heidnische Wildheit, ein heidnischer Stolz und Trotz in ihr, ein Streben
nach einer Freiheit, die erzheidnisch und ganz unchristlich sei. Auch ist es
wahr, daß in so ungeheuren Umwälzungen der Dinge und Erschütterungen
der Gemüter, als wir erlebten, immer nach oben geblickt werden muß,
damit der Vater in: Himmel Liebe und Sanftmut ins Herz gieße, daß es
in Trotz und Roheit nicht verwildere. Christliche Demut und Milde schließen
keineswegs einen kriechenden, alles Erbärmlichsten geduldigen Geist in sich,
wie einige sie uns beschreiben, nein sie wohnen gerade mit den Kühnsten
und Tapfersten am liebsten und schmücken den Stolz und Mut mit dem
freundlichsten Glanze. Ihr seid in einer schönen und hehren Zeit geboren,
Jünglinge, euch sind so viele hohe Reize des Strebens, soviele leuchtende
Ziele des Ringens gegeben, welche uns fehlten, die wir vor zwanzig und
dreißig Jahren Jünglinge hießen. Aber auch größer ist die Forderung an
euch und strenger das Gericht, wenn ihr in der großen Zeit, die wir Deutsche
endlich nach manchen schläfrigen Jahrhunderten erlebt haben, in Weichlich¬
keit und Gleichgültigkeit versinken könntet. Euch stehen an dem Wege der
Tugend soviele Ermahner, Ermunterer und Warner, deren wir mangelten,
ein Vaterland, ein Deutschland, eine deutsche Ehre, ein deutscher Kriegs¬
glanz und o, unendliche Hoffnungen, welche die Zukunft noch in sich schließt:
strahlende und blitzende Ideen, die euch mit der erhabensten Liebe ent¬
flammen und alle wilden Triebe, welche die Jugend verlocken könnten,
in sich verschlingen.
Schwer ist die Zeit auch in anderer Hinsicht und wird jeden Tag schwerer.
Ich meine nur für das Leben, für das gewöhnliche Erdenleben, daß ein
Mann ehrlich sein tägliches Brot gewinne und esse. Ehrlich ist ein hohes
Wort und bedeutet sehr viel, viel mehr, als die meisten gewöhnlich da hinein
legen. Es bedeutet nicht bloß, daß einer nicht stehle noch lüge; nein, es
bedeutet die schwere Tugend, daß er für das Bedürfnis und die Not des
Lebens nie die Erstgeburt des geistigen Adels um ein Gericht Linsen ver¬
kaufe wie der Esau weiland, daß er nie das Edle dem Gemeinen, das Hohe
dem Niedrigen dienstbar mache, daß er nie und in keinen: Augenblick ein
Knecht werde. Es ist ein fürchterliches Gedränge in der Welt unr das tägliche
Brot, so fürchterlich, als es früher nie gewesen. Alle Staaten, alle Völker
sind auf das äußerste angestrengt, die Finanz ist die erste Wissenschaft des
Staates geworden, und auch die einzelnen Menschen müssen nun schon ein
wenig mitfinanzen. Ich scheine hier von etwas Kleinem zu sprechen, freilich
von etwas Kleinem und Gewöhnlichem, von dem täglichen Brote. Ihr
Stolze unb Freie schauet mit der Idee voll Mut imb Liebe noch so iveit