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Ludwig XYIII schien anfangs vom besten Willen Beseelt, Frankreich nach den^-nkr-i^
langen Erschütterungen zu beruhigen und zu kräftigen uud die verliehene Charte zu XYIII.
beachten; allein die Ultraroyalisten, an deren Spitze sein eigener Bruder, isis—1824.
Graf von Artois (Karl X.), stand, drängten ihn und erstrebten eine unbedingte
Herstellung der Zustände vor 1789. Die Deputirtenkammer von 1815 (chambre
introuvable) ging in ihren Beschlüssen so weit, daß der König mehrere verwarf.
Alle, welche für den Tod Ludwigs XYI. gestimmt oder während der hundert Tage
zu Napoleon übergegangen waren, wurden von ihr von der Amnestie ausgeschlossen,
einige zum Tode verurtheilt, andere verbannt. Da die Kammer fortfuhr für Wie¬
derherstellung der Rechte des Adels und der Geistlichkeit zu arbeiten, ward sie aus¬
gelost (1816). Das Ministerium Deeazes näherte sich den Liberalen, * rief die
Verbannten zurück und gab Preßfreiheit (1819). Der auf dem Congresse zu Aachen
(1818) erfolgte Nachlaß von 150 Millionen Franken von der im Pariser Frieden
fixirten Kriegsentschädigungssumme und der Abzug des Besatzungsheeres, vor der
festgestellten Zeit ward mit Jubel aufgenommen. Allein d e Ermordung des H er-
zogs von Berry*) durch einen politischen Schwärmer Louvel, welche mau den
Liberalen Schuld gab (auch Decazes ward verdächtigt), trieb den König zur Partei
der Ultraroyalisten (1820). Decazes wurde entlassen, Graf Villöle an die spitze
eines neuen Ministerraths berufen (le ministere deplorablo)", die Preßfreiheit be¬
schränkt, das liberale Wahlgesetz von 1817 aufgehoben und der Herzog von Angou-
löme mit einem französischen Heere nach Spanien gesandt, um daselbst die Ver¬
fassung vou 1812 zu vernichten. Diese Vorgänge erfüllten die liberale Partei mit
großem Unwillen. Ludwig XYIII. starb 1824. Sein Bruder, der Graf vou Ar¬
tois, folgte unter der Benennung Karl X. (1821—1830). Er hatte zwar die
Charte beschworen, dachte aber daran, mit Hilfe Villöle's nnd seiner Freunde die¬
selbe zu beseitigen und das unumschränkte Königthum wieder herzustellen. Die Un¬
terwerfung der Erziehung und des Unterrichts unter die Aufsicht und Leitung der
Jesuiten und die Wiedereinführung der Censur verriethen das Streben deutlich, und
riefen einen solchen Haß gegen das Ministerium wach, daß Karl es entfernen und
ein gemäßigt liberales unter Martignac an seine Stelle treten lassen mußte.
Allein dies verdarb es mit den Liberalen und Royalisten unb machte bald dem
royalistischen Ministerium P0lignac (1829) Platz, dessen Mitglieder als Gegner
der Charte bei dem größeren Theil der Nation verhaßt waren.
England hatte im Pariser Frieden für die in den französischen Kriegen gebrach- ^orgänge^
ten CTpftr nicht unansehnliche ^ntschcidignngcn erhalten; von Frankreich To» lsis—isso
bago, St. Lucie, Jsle de France und die Seychellen, ferner Malta, von Holland
das Copland und Ceylon, von Dänemark Helgoland und von den Großmächten die
Schntzherrfchaft über die sieben jonischen Inseln. Seine Flagge beherrschte alle
Meere, und auf seine Seemacht gestützt, griff es gebietend in die politischen Ver¬
hältnisse aller Länder ein. Aber seine Staatsschuld war auf 800 Mill. Pfund
Sterling gestiegen, uud die Steuern mehrten sich zu einer unerträglichen Last. Die
Continentalsperre, die größere Ausbildung des Maschinenwesens und die Misernte
*) Der Herzog von Berry war der zweite Sohn des Grafen von Artois, also
Ludwigs Nesse; da sein ältester Bruderssohn, der Herzog von Angoulöme, und der
König selbst kinderlos waren, so beruhte auf ihm die ganze Hoffnung ans die Dauer
der Dynastie. Nach dem Tode des Herzogs ward ihm noch ein Sohn geboren,
Heinrich von Bordeaux (Henri Y., Graf von Chambord).