40. Auflösung des fränkischen Reiches.
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Drei Jahre später (879) zog Ludwig der Jüngere, auf die Einladung
unzufriedener Vasallen (des mächtigen und einflußreichen Grafen Konrad
von Paris und des Abtes Gauzlin) mit einem ansehnlichen Heere nach
Lothringen (bis Verdun) und gewann durch Anerbieten Seitens der den
westfränkischen Königen (den beiden Enkeln Karl's des Kahlen) treu¬
gebliebenen Großen die ganze Westhälfte Lothringens, die Karl der Kahle
einst (870) durch den Meersener Vertrag erhalten hatte (s. S. 163), so daß
nun ganz Lothringen zu Deutschland gehörte. Ein Theil des Ludwig dem
Jüngern abgetretenen Lothringen ward ihm jedoch vorweg genommen durch
den von einem mächtigen Vasallen, dem Herzog Bo so von der Provence,
der dem fränkischen Königshause als Schwiegersohn Ludwig's II. verwandt
war, gewagten und ausgeführten Versuch, eines der schönsten Stücke des
Reiches abzureißen und durch die Wahl der geistlichen und weltlichen Großen
zu einem selbständigen Königreiche Burgund zu erheben. Ludwig wurde
zwar von seiner ehrgeizigen Gemahlin zu einem zweiten Einfalle in das
westfränkische Reich (380) bis zur Oise veranlaßt, in der Absicht, statt eines
kleinen Theiles das ganze Reich zu gewinnen, fand aber nicht den erwar¬
teten Anhang. Bofo behauptete sich in feinern jungen arelatischen Reiche
auch gegen die mit Ludwig dem Jüngern vereinigten westfränkischen Könige,
da die Normannen von verschiedenen Seiten neue Angriffe machten. Als
dieselben in den ersten Monaten des I. 881 das Land bis zur Somme rein
ausgeplündert hatten, zog der westfränkische König Ludwig III. (Sohn Ludwig
des Stammlers) auf den Hülferuf seines bedrängten. Volkes ihnen entgegen
und erfocht bei Saucourt (unweit Abbeville) jenen glänzenden Sieg, dessen
Andenken bis auf unsere Zeiten in dem deutschen „Ludwigsliede" fortlebt,
das die Hand eines Zeitgenossen in ein Pergament des Klosters St. Amand
eingetragen hat; doch ist dieser Sieg für den Verlauf der normannischen
Verwüstungen wenig entscheidend gewesen.
Ludwig der Deutsche hatte seinem jüngsten Sohne Karl III. oder dem
Dicken, der von den drei Brüdern der schwächlichste und untüchtigste war,
die leichteste und bequemste Aufgabe zugewiesen, indem er ihm Alemannten
oder Schwaben übertrug, wofür seine schwachen Kräfte allenfalls ausgereicht
hätten. Unverhoffte Ereignisse aber drängten ihm eine glänzende Rolle auf,
der sein kränklicher Körper und sein eben deshalb nicht zu frischer Entfaltung
gediehener Geist nicht gewachsen waren. Nach dem Tode seines ältesten
Bruders Karlmann (f 880) fand er in Italien als dessen Erbe allgemeine
Anerkennung und empfing auf einem zweiten Römerzuge (881) die Kaiser¬
krone, da Niemand sie ihm streitig machte. Als auch fein zweiter Bruder,
Ludwig der Jüngere, gestorben war (882), fiel ihm das gefammte Reich seines
Vaters nebst ganz Lothringen zu. Und abermals zwei Jahre später verlieh
das Glück ihm wider alles Vethoffen auch noch die Krone des Westreiches,
die ihm, wie seine übrigen Kronen, ohne alle Mühe zufallen sollte. Denn