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II. Die Völkerwanderung.
sich auf die Paläste, Tempel, Kirchen znr Plünderung. Kaum mochte in
einer Stadt der Welt je eine reichere Beute dem Feinde zugefallen sein.
Alarich hatte seinen Kriegern volle Plünderungsfreiheit gegeben, aber ihnen
Schonung des Lebens der Einwohner anbesohlen, und die Kirchen, vor allen
die Basiliken der Apostel Petrus und Paulus, zu Freistätten erklärt, in denen
die Flüchtlinge nicht verletzt werden durften. Die Gothen gehorchten diesem
Befehl, so weit es ihnen die blinde Beutewuth gestattete. Ein Gothe
drang in das Haus einer frommen Jungfrau, welche einsam, wehrlos und
furchtlos einen aufgehäuften Schatz von prächtigen Gefäßen hütete. Im Be¬
griff, auf diese Beute sich zu stürzen, schreckten ihn die ruhigen Worte der
Frommen zurück, diese Schätze wären Eigenthum des Apostels Petrus, und
der Heilige würde den Tempelräuber zu bestrafen wissen. Der Barbar trat
zurück und nachdem er bem König Alarich von dem Vorfall Kunde gegeben,
erhielt er ben Befehl, sowohl die Weihgefchenke des Apostels als ihre fromme
Hüterin unter sicherer Bedeckung unversehrt nach St. Peter zu geleiten.
Schon nach 3 Tagen zog Alarich aus der geplünderten Stabt nach Eam-
panien ab, mbent er bie unermeßliche Beute auf Wagen, eine große Zahl von
Gefangenen mit sich schleppte, unb Placibia selbst, die Schwester des Hono-
rius, sie achtungsvoll behanbelnb, mit sich führte. Er rückte bis in bie süd¬
liche Spitze von Unteritalien und wollte nach Stritten und von da nach der
reichen Provinz Afrika übersetzen, welche noch immer die Kornkammer Roms
und Italiens war. Jedoch ein Sturm zerstörte seine Schiffe in der Meerenge
von Messina, und der gothische Kriegsheld, ber bei einem länger» Leben
gewiß noch große Dinge ausgeführt hätte, starb, wie Alexander, in der Blüte
seines Lebens, im 34. Jahre seines Alters. Vom ganzen Volke der West¬
gothen betrauert, wurde er aus eine merkwürdige Weife zur Erbe bestattet.
Eine Menge von Gefangenen mußten den Fluß Bufentum, welcher an der
Stadt Eosenza vorüberfließt, ableiten; mitten im trockenen Flußbette errichteten
sie ihrem verblichenen König ein Grabmal, und nachdem sie ihn mit vielen Schätzen
barin beerdigt hatten, leiteten sie das Wasser des Flusses wieder darüber.
Damit aber Niemand erfahre, wo der große König ruhe, und damit römische
Habsucht die Ruhe ferner Gebeine nicht störe, so wurden alle Sclaven, welche
dabei Arbeit verrichtet hatten, umgebracht.
13. Attila.
(Nach I c> s. Aschbach, Geschichte der Westgothen, mit Zusätzen vom Herausgeber.)
Attila (Etzel), der nach der Ermordung seines Bruders Bleda alleiniger
König der Hunnen geworden war (445?), verlegte feinen Wohnsitz diesseit
der Theiß in Ungarn, und von hier ans herrschte er in eine Entfernung,