84. Der dänische Minister Struensee.
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Struensee, der Sohn eines aus Halle nach Altona berufenen Geistlichen,
als Leibarzt begleitet und die Gunst des Königs, nach seiner Rückkehr auch
das besondere Vertrauen der jungen Königin gewonnen. Zum Cabinets-
rath emporgestiegen, bewog er den König, den allgemein geachteten Grafen
von Bernstorf zu entlassen (1770), in welchem er einen zu strengen Censor
in Bezug auf sein Verhältniß zur Königin erblicken mochte.
Unmittelbar nach Bernstors's Entfernung begann Struensee vom Cabinet
des Königs aus seine Reformen. Er befreite den Bauernstand von den
Bedrückungen des Adels und brachte die bäuerlichen Frohnen und Abgaben
auf ihr ursprüngliches rechtliches Maß zurück. Er befreite den Bürgerstand
eben so von dem Druck der in allen städtischen Aemtern forterbenden
Familien-Oligarchie. Er organisirte die Gerichte neu und steuerte dem Un¬
wesen, welches bisher den Adel auch vor dem Gesetz bevorzugt und demselben
namentlich das Schuldenmachen erleichtert hatte. Allein indem er Alles
eigenmächtig und allein verfügte, ohne Jemanden zu fragen, beleidigte er
das konstitutionelle Gefühl, welches, allen Ständen inwohnend, des Volkes
Schicksal nicht durch Machtbefehle, sondern durch Vertrag bestimmt wissen
wollte. Indem er seine Decrete in deutscher Sprache bekannt machte, beleidigte
er das dänische Nationalgefühl. Indem er mit einem Federstrich alle Zünfte
und Innungen aufhob, zerstörte er den bürgerlichen Organismus, und indem
er eine Anzahl bisher gültiger lutherischer Feiertage abschaffte, beleidigte er
auch das religiöse Gefühl. Er machte sich dadurch unzählbare Feinde,
während er durch die Eitelkeit, die ihn bewog, sich und feinen Freund Brandt
in den Grafenstand erheben zu lassen, den Nimbus des uneigennützigen
Reformators verlor. Dennoch würde er sich länger behauptet haben, wenn
er nicht eine unbegreifliche Feigheit verrathen hätte. Im September 1771
tumultuirten 300 Matrosen, weil man ihnen die Bewilligung gewisser Forde¬
rungen verweigert hatte, und dieser unbedeutende Lärm schreckte Struensee
dermaßen, daß er mit dem ganzen Hofe entfloh und den Matrosen alles
zusagte, was sie verlangten. Wenige Tage später benahm er sich ganz eben
so kraftlos bei einem Tumult der Seidenweber. Da beschlossen seine Feinde,
ihn zu verderben, denn jetzt fürchteten sie ihn nicht mehr. Man verschwor
sich gegen ihn im Palaste der verwitweten Königin Juliane (der zweiten
Gemahlin Friedrich's V.), welche diesen Anlaß gern ergriff, um wo möglich
ihren Sohn Friedrich emporzubringen. In der Nacht auf den 17. Januar
1772 beriefen die Verschworenen alle Ossiciere zusammen und erklärten ihnen
auf Befehl der Königin Juliane und des Prinzen Friedrich, man müsse den
König dem Einstufte Struensee's und Brandt's entziehen. Die schon instruir-
ten Ossiciere stimmten zu. Die Verhaftung Struensee's und Brandt's ward
ohne Widerstand vorgenommen und am andern Morgen wurde der arme
König aus dem Schlafe geweckt und gezwungen, zu unterschreiben, was man
ihm vorlegte, unter Ändern auch einen Verhaftsbefehl gegen seine eigene