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Dritter Zeitraum: 1789—1815.
pelt. Nichts desto weniger gab es kein Gesetz, das erlaubt hätte, den König
vor Gericht zu ziehen und keinen Gerichtshof für ihn — am wenigsten konnte
der Convent Kläger und Richter zugleich sein. Er war durch die Verfassung
von 1791 als König unverletzlich erklärt, nur seine Rathgeber sollten für
alle etwaigen verbrecherischen Schritte verantwortlich sein; der Verkehr mit
dem Auslande konnte ihm höchstens den Verlust des Thrones bringen, und
diesen hatte er bereits verloren. Dennoch beantwortete der Deputirte Mailhe
die Früge: „ob Ludwig vor Gericht, und zwar vor den Convent. gezogen
werden könne," im Namen des Gesetzgebungs-Ausschusses, dem sie aufge¬
geben worden, durch eine Menge von Trugschlüffen (die Verfassung habe
ein Unrecht begangen und sei vor einem hohem Gesichtspunkte ungültig),
bejahend. Unglücklicher Weise waren aber die Girondisten nicht einmal in
der Wahl der Mittel einig, Ludwig zu retten, eine Folge der Unklarheit
ihres gesammten Standpunktes. Sie wollten den König richten, aber nicht
morden, sondern als Geisel für Unterhandlungen behalten; aber sie hatten
nicht den Muth, offen zu sagen, was sie vorhatten. Der Tod des Königs
bedeutete für sie den Weltkrieg nach Außen und die Schreckensherrschaft
nach Innen. Fest und konsequent verwarf dagegen die Bergpartei sowohl
die Unverletzlichkeit als auch das gerichtliche Verfahren. St. Just führte
Alles auf Gründe der Politik und des Staatswohles zurück. „Ludwig muß
sterben/ sagte Robespierre, „damit die Republik am Leben bleibe." Die
Mehrheit entschied auf PÄion's Vorschlag, gegen die Vertheidiger der Unver¬
letzlichkeit, daß Ludwig vom Convent gerichtet werden könne und solle. Von
diesem Beschlusse an trennte man den armen Fürsten unter dem Vorwande,
Verabredungen zu seiner Vertheidigung zu verhüten, von den Seinen; man
brachte ihn in ein enges Gefängnißzimmer, dessen beide Fenster dicht mit
eisernen Stäben vergittert waren, die nur schwaches Licht durchließen. End¬
lich, am 11. December, wurde Ludwig, nachdem die Anklage-Acte über alle
Verbrechen und Verräthereien „des letzten Königs der Franzosen" von dem
dazu ernannten Ausschüsse noch in der Nacht gefertigt worden war, vor die
Schranken des Convents berufen. Man hatte schändlicher Weife, damit er
desto unvorbereiteter sei, den bisherigen Gang der Verhandlungen vor dem
Gefangenen sorgfältig verborgen. Eben als beim Anbruche des Tages der
König sein Morgengebet verrichtete, ertönte der Generalmarsch in allen
Theilen der Stadt; er fragte betroffen nach der Ursache, erhielt aber von
dem Tempel-Commissar die Antwort, daß sie ihm unbekannt sei. Die gemein¬
schaftliche Angst kürzte die Stunde des Frühstücks ab; die Unruhe des Königs
stieg mit dem Getümmel. Er setzte den Unterricht in der Erdbeschreibung,
den er sonst dem Dauphin am Morgen gab, aus und spielte mit ihm eine
Partie Siam. Das Kind konnte es nicht höher als zur Zahl 16 bringen.
„Die Sechszehn," sagte der unglückliche Knabe in unwissentlicher Pröphe-