Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

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Dritter Zeitraum: 1789—1815. 
einem russischen und einem französischen Bündnisse, zuletzt notgedrungen zur 
Allianz mit Frankreich und stellte 20,000 M. Vielleicht gab es in dieser 
Lage für Preußen keinen andern und bessern Ausweg; aber es war begreif¬ 
lich, daß gerade die Tüchtigsten sich nicht so rasch in diese Wendung „um¬ 
denken" konnten, als statt der Erhebung die Unterwerfung erfolgt war. 
Scharnhorst legte das Ministerium nieder, Gneisenau' und 300 andere 
Officiere nahmen den Abschied, weil sie lieber in Rußland und Spanien 
gegen Napoleon fechten wollten, als unter ihm und für ihn. General 
Aork wurde Befehlshaber jenes preußischen Hülfscorps, zwar ein so heftiger 
Feind der Franzosen, wie irgend einer, aber zugleich von jeher ein Gegner 
des Stein'schen Liberalismus, verzweifelnd über das Loos, den Franzosen 
zu dienen, aber entschlossen, rücksichtslos bei seinem Kriegsherrn auszuhal¬ 
ten. Er wurde dem Marschall Macdonald zugewiesen, der 30,000 M. gegen 
Riga führte, um den äußersten linken Flügel der großen Armee zu bilden, 
so wie Schwarzenberg die äußerste Rechte derselben in Süd-Polen abschloß. 
Napoleon führte ein Heer über den Niemen, wie es die Welt noch nicht 
gesehen hatte. Es zählte mehr als 450,000 M., und wenn man nicht allem diese 
Zahl, sondern auch den kriegerischen Werth der Truppen erwägt, so erscheint 
die nicht feiten gehörte Vergleichung mit den Schaaren des Xerxes fast als 
lächerlich, wie zahlreich auch dessen Schwarm gewesen fein mag. Rußland 
hatte dieser gewaltigen Macht, trotz aller Anstrengungen, nach Jahre langen 
Rüstungen nicht die 300,000 Krieger entgegen zu stellen, von denen man 
in den Petersburger Hofkreifen sprach, sondern, etwa 15,000 Kosaken abge¬ 
rechnet, die auf dem Schlachtfelde wenig bedeuten, nur 176,000 M. Linien¬ 
truppen. Finanzielle Schwierigkeiten, die Mängel der Verwaltung und die 
gewaltige Sterblichkeit, die in der russischen Armee, besonders unter der neu 
ausgehobenen Mannschaft immerdar herrschte, hatten zu diesem bedenklichen 
Mißverhältniß der Macht geführt. Daher sah man sich genöthigt, ohne daß 
dies von Anfang an eine planmäßige Berechnung war, den Krieg, nach 
Art der alten Parther, durch stetes Zurückweichen zu führen, so daß die 
Kräfte des Feindes auf dem unfruchtbaren Boden und an den großen 
Dimensionen des Reiches auch ohne Kampf allmählich erschöpft würden. 
Der Boden, der geringe Anbau, die dünne Bevölkerung waren die mächtig¬ 
sten Bundesgenossen gegen jeden fremden Angriff. Beim Vordringen der 
Franzosen nach Litthauen zeigten sich bald die Schwierigkeiten des Marsches 
und der Verpflegung einer halben Million Menschen. Erst litt man unter 
drückender Hitze, dann machte anhaltender Regen die Wege bodenlos, die 
Pferde fielen zu Tausenden und verpesteten mit ihrem Aasgeruch die Luft, 
eine bösartige Ruhr raffte viele Menschen hin. Ordnung, Zucht und Gehor¬ 
sam lockerten sich täglich mehr unter der zwingeyden Noth von Hunger, 
Durst und Ermüdung. Erst bei Smolensk (17. August) erreichte man 
die russische West-Armee (100,000 Mann) unter Barclay; auch ihr hatte
	        
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