Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

107. Deutschlands Erhebung und Befreiung. 709 
Rapp tapfer vertheidigt, capitulirte erst am 1. Januar 1814. Das Schlimmste 
für Napoleon war, daß Frankreich, erschöpft durch den Verlust zweier gewal¬ 
tiger Heere innerhalb 15 Monaten, kein drittes von irgend ausreichender 
Zahl aufzubringen vermochte. Als die schlesische Armee unter Blücher und 
die Hauptarmee der Verbündeten unter Schwarzenberg in den ersten Tagen 
des November an dem Rheine erschienen, schlug Gneisenau vor, ohne Auf¬ 
enthalt gegen Paris vorzudringen und den Krieg in einigen Tagen zu einem 
siegreichen und völlig entscheidenden Ende zu führen. Da aber, in diesem 
Zustande der gänzlichen Wehrlosigkeit, kam dem besiegten Kaiser die Diplo¬ 
matie zu Hülfe — nicht die eigene, sondern die der Verbündeten, vor allem 
die österreichische. 
Schon auf dem Congresie zu Prag war unter den österreichischen 
Staatsmännern die Besorgniß erwacht, daß (wie Metternich's Vertrauter, 
Gentz, die Sache ausdrückte) der Befreiungskrieg, wenn er länger fortgesetzt 
werden müßte, in einen Freiheitskrieg ausarten und zur Herrschaft liberaler 
Principien in Europa führen könne. Die „gefährlichen Grundsätze", die in 
dem bedenklichen Aufruf von Kalisch ausgesprochen waren, sollten ein- für 
allemal aufgegeben und der begonnene „Volkskrieg" in die correcten Bahnen 
eines nüchternen Cabinetskrieges zurückgeführt werden, hatte ja doch Kaiser 
Franz geäußert, er kenne kein „Volk", er kenne nur „Unterthanen". Die 
österreichische Diplomatie, welche weder die Herstellung eines großen einigen 
Deutschlands wünschte, dessen Schwerpunkt vielleicht eher in Berlin als in 
Wien sein würde, noch die Herstellung Preußens zu einer Macht ersten Ran¬ 
ges, am wenigsten, wenn dies durch eine Annexion Sachsens bewirkt würde, 
suchte daher vor Allem so schnell als möglich das Ende des Krieges herbei¬ 
zuführen, und zwar nicht durch einen entscheidenden Sieg, sondern durch einen 
Friedensschluß unter Bedingungen, die, wie man meinte, Napoleon annehmen 
könne. Schon am Tage nach der Schlacht bei Leipzig knüpfte Fürst Metter¬ 
nich Unterhandlungen an und wußte auch die englischen Staatsmänner für 
seine Ansicht zu gewinnen, daß ein schnell geschloffener Friede mit Frankreich 
auf irgend erträgliche Bedingungen das Wünschenswerteste sei; selbst in 
Preußen huldigte der Staatskanzler Hardenberg und der militärische Vertraute 
des Königs, General Knesebek, diesen Ansichten, während die Pläne der 
„Exaltirten", nämlich Stein's, Blücher's, Gneisenau's, und deren Hoffnung, 
Napoleon's Thron zu stürzen, als chimärisch verschrieen wurden. So brachte 
es denn Metternich glücklich dahin, daß dem französischen Kaiser (als künfti¬ 
gem Bundesgenossen Oesterreichs gegen Rußland, gegen Preußen und zumal 
gegen den Liberalismus) Frankreich bis an den Rhein (!) angeboten wurde, 
und nur dem unbeugsamen Sinne Napoleon's verdanke es die Welt, daß 
ihr die Folgen einer solchen Combination erspart blieben. Er gab nur 
unbestimmte, zu nichts verpflichtende Antworten, so daß auch die Kurzsich¬ 
tigen und Verblendeten sich entschließen mußten, zu sehen, daß er nur Zeit
	        
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