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5. Die große feindliche Gegenoffensive.
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Blicken wir auf die feindlichen Stimmen gelegentlich der großen deutschen Offen¬
siven und der feindlichen Schlußoffensive, wie sie in vorstehendem sorgfältig ans-
gezeichnet wurden, zurück, auf Stimmen, die immer wieder der Sorge und
Angst über die ungebrochene deutsche Kraft Ausdruck geben, uud bedenkt
man, das; diese feindliche Sorge durchaus deu ungeheuren Leistungen des deutschen
Heeres entsprach, so steht man der Kapitulation Deutschlands, wie sie am 5. Oktober
durch die Bitte um Waffenstillstand eingeleitet wurde, mit dem Gefühl vollstän¬
diger Betäubung gegenüber. Wie war so etwas möglich! Ein von allen
Seiten mit dem Untergang bedrohtes Volk ringt über vier Jahre lang mit
beispiellosen Erfolgen gegen die halbe Welt, vollbringt Heldentaten, deren Ruhm
bis an die Sterne dringt, Heldentaten, vor denen alles verblaßt, was die Welt¬
geschichte an kriegerischen Erfolgen bislang auf ihren Blättern zu vermelden hatte,
und bricht dann, mit seinen Heeren noch mitten im Feindesland stehend, eine Viertel¬
stunde zu früh jäh zusammen, muß sich auf Guade uud Unguade deu bis vor kurzem
noch um den Ausgaug bangenden Feinden ergeben und einen Waffenstillstand unter-
schreiben, der an Grausamkeit und Rachgier seinesgleichen in der Weltgeschichte nicht
sah, einen Waffenstillstand, der es völlig wehrlos macht, so daß es sich den Frieden
von den Feinden wird hemmungslos diktieren lassen müssen. Und noch bevor die
Waffenstillstandsbedingungen entgegengenommen (am 8. November) und unterzeichnet
werden (11. November), bricht im Innern die Revolution ans (beginnend am
5. November in Kiel), die zu der furchtbaren äußeren die verhängnisvolle innere
Krisis fügt (9. November Abdankung des Kaisers). Dunkel wie die Nacht liegt die
Zukunst vor uns. Weder wissen wir, ob der Friede so viel Lebensblut in den Adern
des Volkskörpers übriglassen wird, daß wir in absehbarer Zeit wieder genesen können,
noch, ob im Innern die ordnungheischenden Mächte, — insonderheit die um ihre Existenz
ringende Regierung Eberts — die Oberhand gewinnen wird! In bitterstem Weh
krampsen sich unsere Herzen zusammen! Aber eines wissen wir: Leid bringt
Läuterung! Und darum wollen wir mit Hindenburgs schlichtem volksmäßigen Wort
sprechen: „Wer weiß, wofür es gut ist." Der Mammonismus hielt mehr und mehr
auch das deutsche Volk umkrallt, Kasteudünkel und Klassenhaß hatten unser
Volksleben vergiftet. Der furchtbare Zusammenbruch alles dessen, was war. wird uns
zur Selbstbesiuuuug führen und uns zwingen, ein neues Staatslebeu mit ueueu,
gesünderen Grundsätzen aufzubauen. Irgendwo hinter der dunklen Nacht wartet unserer
ein neuer Morgeu! Diese Gewißheit muß uus aufrecht halten! Wir sind dessen
gewiß, daß ein Volk so ungeheurer Tateu und Kräste berufen ist, einen Neubau zu
errichten, der auf dem Gebiet innerer Kultur wegweisend für eine neue
Menschheitsentwickelung sein wird. Den Befähigungsnachweis dafür hat das
Volk der Denker uud Dichter im Frieden durch seine bahnbrechende Arbeit auf dem Ge¬
biet der Volksbildung und der sozialen Gesetzgebung, svwie durch seinen bei¬
spiellosen wirtschaftlichen Aufschwung im Kriege durch ein Höchstmaß an Kraft
uud Leistungsfähigkeit erbracht. Volksbildung mid sozialer Ausgleich werden
die Pole unseres neue» Strebeus sein. Letzten Grundes hat uus der soziale
Zwiespalt üt deu Abgruud gestürzt. Der soziale Ausgleich in Lebenshaltung
und Bildung wird darnm von mm au unser Ziel sein müssen, denn nur er ver¬
bürgt eiu wirklich einheitliches Volk! Ein ehernes Gesetz wirkt in der Mensch-
heitseutivickeluug. Uus verweist es mit erhobner Hand aus die neuen Wege einer