Deutsche Colonisation. § 192—195.
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hatte: Danzig, Riga, Dorpat, Nowgorod waren hier ferne, aber vielbesuchte
Stapelplätze. So war der Grund für den gewaltigen nordischen Verkehr bereits
gelegt, der sich in der folgenden Periode durch das Bündniß der Hanse so
mächtig entfaltete.
Z 193. Noch waren, in der Blüte der Kaiserzeit, diese Handelsstraßen zwar
mit manchem Zoll belegt, doch im Ganzen ziemlich sicher, und von Wegelagerern
verhältnißmäßig wenig beunruhigt; denn das Raubritterthum in seiner vollsten
Entwickelung ist erst eine Erscheinung des 14. und 15. Jahrhunderts. Doch
mußte der Kaufmann bewaffnet ziehen, die Waaren gingen carawanenweis in
größeren Zügen, auf Saumrcsse oder große Wagen gepackt, die dann freilich,
da keine Chausseen, ja nicht einmal überall Knüppeldämme und roh gepflasterte
Straßen vorhanden waren, oft Mühe hatten, vorwärts zu kommen. Bewaffnete
Knechte folgten zur Deckung. Eine bequemere Fahrt boten die herrlichen Wasser¬
straßen, besonders die des Rheins und der Donau.
6. Deutsche Colonisation.
§ 194. Kaum hatte sich die Kraft der Germanen in Karls des Großen
Reiche wieder geeint, als auch schon Versuche zur Rückeroberung des Gebietes
jenseits der Elbe gemacht wurden (§ 77.), jenes Gebietes, das einst Deutsche
besessen (§ 9.), das nach der Völkerwanderung aber die Slaven an sich ge¬
rissen hatten. Mit dem Sinken der Karolinger-Macht endeten diese Versuche,
um mit der neu erweckten deutschen Kraft unter Heinrich I. (§ 102.) wieder zu
beginnen, und unter Otto I. mit glänzendem Erfolge gekrönt zu werden (§ 108.),
bis dann der naturgemäße Zug deutscher Eroberung nach Osten und Norden
hin leider dem Süden zu Gefallen abgelenkt wurde. Zwei Jahrhunderte ruhte
nun die Ausbreitung der Deutschen nach Osten hin. Doch lebte besonders in
den Sachsen der Trieb dieses kräftigen Vordringens fort, und erwachte sogleich
wieder, als nochmals ein Herrscher aus ihrer Mitte, Lothar (§ 151.) den deut¬
schen Königsthron bestieg. Besonders aber beginnt seit den Zeiten Friedrich
Barbarossa's und Heinrich des Löwen das so frisch und kräftig auflebende
deutsche Bürgerthum gleichsam eine neue Völkerwanderung zur Colonisirung
des finnischen Ostens. Es lassen sich dabei mehrere Hauptrichtungen unter¬
scheiden.
§ 195. Von den sächsischen Marken aus — der Nordmark, d. i. die
heutige preußische Altmark auf dem linken Elbufer, und der Ostmark, südlich
von Magdeburg zwischen dem Harz, der Saale, Mulde und Elbe, welcher die
Lausitz sich anschloß (§ 108.) beginnt das kräftige Vordringen der Askani-
schen Fürsten. Schon oben ist die rastlose Thätigkeit Alb rechts des Bären,
des Ahnherrn dieses Hauses, des ersten Markgrafen von Brandenburg
geschildert worden, welcher zu der sächsischen Nordmark, die von nun an die
Altmark hieß, noch die Priegnitz (§ 151.) und einen Theil des Havel¬
landes eroberte, und unter dem die alten Bisthümer Havelberg und Bran¬
denburg (§ 108.) wieder iris Leben traten. Sein Geschlecht herrschte in diesen
Landen bis zu seinem Aussterben 1320 in großen Ehren, und gewann zu den
genannten Marken, der Altmark, Priegnitz und Mittelmark, noch die
Uckermark, d i. das Land an der Ucker bis zur Oder und zum Meer hin,
und die Neumark, d. i. das an Pommern gelehnte Land jenseits der Oder,
wozu dann noch das Bisthum Lebus kam. Auch die Ober- und Nieder-