Die Rogation des Tiberius Gracchus. 
365 
33. Die Rogation des Uiberius Gracchus. 
Plutarch, Tiberius Gracchus^). 
Sobald Tiberius zum Volkstribun erwählt worden war, entschloß er sich 
eine gerechtere Verteilung des Grundbesitzes zu erstreben. Er entwarf einen 
Gesetzesvorschlag, demzufolge die bisher widerrechtlich benützten Grundstücke 
gegen angemessene Entschädigung herausgegeben und den hilfsbedürftigen Bürgern 
überlassen werden sollten^). 
Die Reichen und Güterbesitzer wurden von Zorn und Erbitterung erfüllt 
und gaben sich alle Mühe das Volk von Tiberius abwendig zu machen, indem 
sie erklärten, er wolle die vorgeschlagene Landesverteilung nur benützen um 
die bisherige Verfassung zu stürzen und eine allgemeine Revolution herbei- 
zuführen. 
Sie richteten jedoch damit nichts aus. Denn Tiberius stritt für eine so 
schöne und gerechte Sache mit einer bestrickenden Beredsamkeit. Er war un- 
überwindlich, wenn er auf der vom Volke umringten Bühne stand und von den 
Armen in folgendem Tone sprach: 
„Die wildey Tiere, die in Italien Hausen, haben ihre Gruben; jedes von 
ihnen weiß seine Lagerstätte, seinen Schlupfwinkel. Nur die, welche für Italien 
fechten und sterben, können nichts ihr eigen nennen als das Tageslicht und 
die Luft, welche sie atmen. Unstät, ohne Haus und Wohnsitz, müssen sie mit 
Weib und Kind im Lande umherstreifen. Die Feldherrn lügen, wenn sie vor 
der Schlacht die Soldaten ermuntern ihre Grabmäler und Heiligtümer gegen 
die Feinde zu verteidigen; denn von so vielen Römern hat keiner einen väter- 
*) Plutarchos aus Chäronea in Böotien lebte von 46 bis 120 n. Chr. Er war 
unter den Flavischen Kaisern Lehrer der Philosophie in Rom, verbrachte aber einen 
großen Teil seines Lebens in seiner Heimat. — Sein bekanntestes Werk sind die 
46 Parallelbiographien ausgezeichneter Männer Griechenlands und Roms; es ist hier 
immer ein Grieche und ein Römer zur Vergleichung nebeneinander gestellt. 
2) Den wesentlichen Inhalt der von Tiberius beantragten lex Sempronia agraria 
kann man dahin zusammenfassen: 
1. Niemand soll mehr als 500 Jugera (etwa 140 ha) vom ager publicus besitzen. 
2. Jedoch soll es jeder Familie gestattet sein für jeden noch nicht mündigen Sohn 
außerdem 250 Jugera zurückzubehalten. 
3. Für die abzutretenden Ländereien wird den gegenwärtigen Inhabern eine an¬ 
gemessene Entschädigung aus dem Staatsschatz gewährt. 
4. Die abgetretenen Ländereien werden in Teilen von 10 Jugera (fast 3 ha) unter 
die besitzlosen Bürger verteilt. 
5. Doch darf niemand den so erhaltenen Acker wieder verkaufen, verpfänden oder auf 
irgend eine Weise aus dem Besitz geben. 
6. Mit der Ausführung der Ackerverteilung wird eine vom Volk jährlich gewählte 
Kommission von drei Männern betraut. Bei eintretenden Schwierigkeiten steht 
ihnen die Entscheidung zu, ob ein Acker Privat« oder Staatseigentum sei.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.