762 Deutschlands Industrie, Handel und Verkehr im 19. Jahrhundert.
durch volkstümlich gehaltene Abhandlungen und Vorträge, durch die Konversations¬
lexika und billige Ausgaben lehrreicher Bücher unter das Volk verbreitet wurde.
Trotz aller Wissenschaft und Schulbildung herrscht doch der Aberglaube noch
bis in unsere Zeit in manchen Gegenden und Volksschichten.
r "V Industrie, Hmidcl und Verkehr im
Der riesenhafte Aufschwung der Naturwissenschaften brachte wie in andern
Ländern so auch in Deutschland eine bedeutsame Umwälzung in der Industrie,
im Handel und Verkehr hervor. Nachdem gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die
Dampfmaschine von dem Engländer James Watt verwertbar gemacht wurde,
veränderte sich
1. die Verwertung der Arbeitskraft des Menschen und dadurch auch-die Lage
der Gewerbetreibenden und Handwerker. Die Arbeiterfrage tritt im Laufe des 19.
Jahrhunderts in den Vordergrund;
2. die Verkehrsverhältnisse wurden ganz andere als gegen Ende des vorigen
und zu Anfang dieses Jahrhunderts. Hatte schon der Ausbau der Kunststraßen, na¬
mentlich im Norden Deutschlands, sowie die Einrichtung von Schnellposten den Verkehr
wesentlich gefördert, so geschah es noch vielmehr durch die Entwickelung der Eisenbahnen
und der Dampfschiffahrt. (Die erste deutsche Eisenbahn wurde 1835 von Nürnberg
nach Fürth gebaut).
Eine weitere Veränderung des Verkehrswesens führte zuerst die Anwendung des
elektromagnetischen Telegraphen und neuerdings des Telephons herbei. Im Postver¬
kehr wurden bedeutende Fortschritte durch die Einführung von Briefmarken (1850),
Postkarten (1870), bedeutende Herabsetzung des Portos, durch die Gründung des
deutsch-österreichischen Postvereins und schließlich des Weltpostvereins gemacht.
Bewirkten so die Verwertung der Dampfkraft und der Elektrizität ganz wesent¬
liche Veränderung, so brachten die Chemie und andere technische Wissenschaften nicht
geringere Fortschritte. Die Gasbeleuchtung und das elektrische Licht verdrängen das
Ol und die Kerzen; billigere Farbstoffe (Anilinfarben) machen die teueren Pflanzen*
farbstoffe unnötig, das Schnellbleichen und die Verbesserung der Färberei und des
Zeugdruckes geben den Stoffen ein schöneres Ansehen und bedingen die Moden. Auch
die graphischen Künste, früher unbekannt, kommen in unserm Jahrhundert auf, so die
Lithographie, die Photographie und der Schnellpressendruck. Während im vorigen
Jahrhundert England den Weltmarkt ausschließlich beherrschte, tritt seit der Mitte des
19. Jahrhunderts Deutschland mehr und mehr erfolgreich in den Wettbewerb ein.
So haben die Maschinenfabriken von Borsig in Berlin und Krupp in Essen Weltruf
erlangt. Auch in der Webeindustrie war ein mächtiger Aufschwung zu bemerken.
Neben Preußen ragt besonders Sachsen hervor. Die Metallindustrie ist am bedeutend¬
sten in den Steinkohlenbezirken, wo auch Eisen gefunden wird. Berlin ist Hauptplatz
für Waren aller Art, besonders Maschinen, Shawls und Tücher, Möbel. Ähnliche
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